Streamen hat seine Grenzen
CORONA-GESPRÄCH (2)
22/04/21 War schon vor der „Krise“ eine Krise der Systemrelevanz von Kunst und Kultur spürbar? Was lässt sich streamen und was nicht? Im mica-Interview sprach Didi Neidhart mit Wolfgang Descho (Rockhouse), Astrid Rieder (trans-Art), Marco Döttlinger (Ensemble names/Sweet Spot), Jürgen Vonbank (Minerva Records /Freakadelle) und Susanne Lipinsiki (Kollektiv Kollinski) zur aktuellen Lage.
Von Didi Neidhart
Mica: War Euch der durch Corona manifest gewordene Stellenwert von Kunst, anscheinend eher keine so große Systemrelevanz, wenn nicht sogar unwichtig, seitens der politisch dafür Verantwortlichen schon vor Corona klar - als Befürchtung oder aufgrund von persönlichen Erfahrungen... Oder habt Ihr gar nicht an so was glauben können?
Susanne Lipinski: Das Thema „Fair Play“ war vor Corona schon massiv vorhanden und verschärfte sich durch die Krise. Ebenso verschärfte sich auf der Gender-Ebene die Situation von Frauen. Wenn sie dann noch Künstlerinnen und Alleinerzieherinnen waren/sind, hatten sie Dreifach- Belastung – diesen Themen haben wir uns künstlerisch auch in der Krise angenommen. Ehrlich gesagt, kann ich mir aber nicht erklären, warum die Kultur am längsten geschlossen ist, wo wir doch bereits letzten Sommer mit Sicherheitskonzepten gearbeitet haben, die nachweislich nicht zu erhöhtem Infektionszahlen geführt haben.
Wolfgang Descho: Die Lippenbekenntnisse gab es vorher und jetzt genauso. Auffallend ist, dass in Stadt und Land mehr Ernsthaftigkeit vorherrscht als im Bund.
Astrid Rieder: Die Kunst hat in Österreich eigentlich, auch von politischen Seiten, einen großen Stellenwert. Dieser scheint jedoch durch Corona geschwächt geworden zu sein. Ich würde mir sehr wünschen, dass die für Kunst und Kultur zuständigen Politikerinnen und Politiker mehr Einsatzbereitschaft für ihren Zuständigkeitsbereich zeigen würden. Davon ist meiner Meinung nach nämlich nicht besonders viel zu sehen. Das man als Künstlerin und Künstler für so lange Zeit in solch eine prekäre Situation kommt, hätte ich mir vor Corona nicht vorstellen können. Dass die Kunst den Österreicherinnen und Österreichern so wenig zu bedeuten scheint, finde ich mehr als bedauerlich.
Jürgen Vonbank:Man hat es schon erahnen können. Zusätzlich wird ja seit jeher auch innerhalb der Kulturszene mit sehr unterschiedlichem Maß gemessen. Dahingehend waren die Erwartungen jetzt auch nicht allzu hoch. Man ist allerdings schon verwundert, wie die Politik die Unterstützung auf die lange Bank schiebt und scheinbar glaubt, dass die Szene das trotzdem überleben wird. Gerade beim NPO-Fonds wurden auch jetzt wieder Monate hingewartet, damit nun das Geld für das 4. Quartal 2020 beantragt werden kann – es wird offensichtlich schlicht davon ausgegangen, dass man sich auch nach einem Jahr Pandemie solche Verzögerungen noch leisten kann.
Marco Döttlinger:Ich muss leider sagen, dass mich das nicht sonderlich überrascht hat.
Mica: Gibt es nach einem Jahr Corona Initiativen bezüglich eines gemeinsamen Handelns der Musik-Szene, etwa über die IG Kultur oder den Dachverband der Salzburger Kulturstätten?
Susanne Lipinski: Es gab vom Dachverband drei Kampagnen. Gemeinsam mit der IG Kultur initiierte man einige Protestbriefe, Umfragen wie auch viele Workshops zu akuten Themen. Im Hintergrund liefen sehr viele Gespräche mit den verantwortlichen Kulturpolitikerinnen und Politikern und auf Beamtinnen und Beamtenebene. Das „Handeln“ der Künstlerinnen und Künstler konnten wir nur in „Schweigen“ wahrnehmen: Schweigen für „Fair Pay“ in Salzburg, Schweigemarsch in Wien, Schweigeminuten in Innsbruck... Eventuell könnte es da eine größere Solidarität geben, ein gemeinsames Kunstprojekt, ein gemeinsamer Protest.
Wolfgang Descho: Das Rockhouse ist in ständigem Kontakt und Informationsaustausch mit dem Dachverband und der IG Kultur.
Jürgen Vonbank: Wir wurden von der Vienna Club Commission angeschrieben mit dem Bestreben sich auch hier in Salzburg zu vernetzen. Bislang ist dahingehend aber nichts Konkretes passiert. Ein lokaler Ableger nach dem Vorbild Innsbruck wäre wirklich sehr wünschenswert. Aber dazu muss die Initiative wohl auch aus der lokalen Szene kommen. Vom Dachverband sehen wir uns eigentlich wenig repräsentiert. Wir sind schließlich dort auch kein Mitglied – gleich wie viele andere autonome Kulturinitiativen.
Mica: Corona-Stages und Konzert/DJ-Streams direkt ins Wohnzimmer oder ins „Home-Office“ sind seit dem ersten Lockdown eine von vielen Acts genutzte Alternative zu Live-Konzerten. Bietet ihr selbst Streams an und was ist eure Einschätzung solch einer alternativen Präsenz?
Susanne Lipinski: Wir boten unser Stück „Austropopo“ zweimal via Stream an. Wir sind aus dem Theaterbereich und haben zwar eine gute Filmversion (in Kooperation mit dem Freien Salzburg FS1) unseres Theaterstücks geschaffen, sind aber selbst des Streamens leid. Film ist Film, Theater ist Theater – und da fehlt übers Streamen dann einfach der persönliche Kontakt und das gemeinsame Atmen.
Wolfgang Descho: Das Rockhouse hat bislang in Zusammenarbeit mit der (Film-)Firma Attic in der „Rockhouse- Club-Session-Serie“ zwölf Streamings mit hoher Beteiligung produziert. Zusätzlich übertragen wir die „Local Heroes“-Serie in Zusammenarbeit mit dem Freien Fernsehen FS1. Auch einige Workshops aus der „Rockhouse Academy“-Reihe werden fallweise online angeboten. Der Live-Stream kann aber das echte Live-Konzert nicht ersetzen, ist aber eine wichtige Möglichkeit, besser durch diese Krise hindurch zu kommen. So können Musikerinnen und Musiker und Veranstaltungs-Personal wenigstens einige Einsätze für sich verbuchen, was auch für die Psyche nicht unwichtig ist.
Astrid Rieder: Ja, „trans-Art“-Darbietungen werden kontinuierlich mit Hilfe von Live-Streams weitergeführt. Ohne die Möglichkeiten, die diese Plattformen, wie z.B. Youtube, bieten, wäre es noch schwieriger „trans-Art“ in die Welt zu bringen. Durch Corona konnte zu meiner großen Freude eine Mitgliedschaft beim Freien Fernsehen FS1 geschaffen werden. Jedoch fehlt der direkte, physische Dialog zum Publikum. Plattformen für Konzertstreaming kommen für meine Kunst nicht infrage. Ich habe bereits vor Corona versucht, mit „trans-Art“-Präsenz in den sozialen Medien aufzubauen und diese auch aktiv und vielfältig zu nutzen. Die technischen Möglichkeiten, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, bringen für die derzeitige Situation der Kunst und Kulturwelt Licht ins Dunkel. Jedoch glaube ich, dass Streams von Konzerten, Opern, Performances, etc. nie an die Stimmung herankommen, die man verspürt, wenn man eine solche Veranstaltung vor Ort miterleben kann. So würde ich behaupten, dass Streaming ein tatsächlich guter Zusatz sein kann, der sich bestimmt auch in Zukunft halten wird, jedoch am Ende “nur” das Abbild eines wirklich besuchten Erlebnisses darstellt.
Jürgen Vonbank: Beim Verein Freakadelle arbeiten wir gerade an der Umsetzung eines Streams. Nicht weil wir so große Fans des Formats sind – denn das sind wir eigentlich nicht. Aber man braucht schließlich auch wieder ein musikalisch/kreatives und organisatorisches Ziel auf das man als Kollektiv hinarbeiten kann und darum haben wir uns dem jetzt angenommen. Bestenfalls können wir über die generierte Öffentlichkeit auch ein paar Spenden lukrieren. Ein Ersatz für unsere gewohnten Aktivitäten ist dies natürlich in vielerlei Hinsicht nicht.
Marco Döttlinger: Ich habe einige Projekte realisiert, die als Stream passiert sind. Aber hauptsächlich ging es darum, trotz Corona und Lockdown überhaupt etwas zu machen bzw. Geplantes und fast Fertiges auch zu zeigen. Das Streamen hat (speziell bei Konzerten) natürlich seine Grenzen und ist keinesfalls eine Alternative.
Mica: Kann schon gesagt werden, was bei gestreamten Konzerten super geht, was okay ist, was eher so lala ist und was geht überhaupt nicht geht?
Susanne Lipinski: Super geht es dann, wenn eine eigene Version kreiert werden kann. Also filmisch gedacht wird und das konnten wir. Das hundertste reine Abfilmen eines Events ist ein Schuss ins Knie: Es braucht dabei immer ein filmisches Konzept dahinter, egal ob Konzert, Theater, DJ-Show …
Wolfgang Descho: Alle ordentlich und möglichst professionell gemachten Streams kommen unabhängig vom Musikstil sehr gut an. Nur die Dauer des Konzertes ist etwas kürzer als im normalen Live-Konzert.
Astrid Rieder: Das größte Dilemma, das ich bei gestreamten Konzerten sehe, ist der Verlust der Stimmung, die man bei einer Musikveranstaltung verspürt. Die Akustik kann noch so gut sein, wenn das Ambiente fehlt, ist diese nur halb so viel wert. Ein großer Vorteil, der das Streaming mit sich bringt, ist die Reichweite, die man so ausbauen kann. Außerdem kann die Kontinuität erhalten bleiben. „trans-Art“-Performances via Zoom/Skype haben wir, die Musikerin/der Musiker und ich, während des Lockdowns sehr wohl durchgeführt. Dieses Experiment war aber sehr herausfordernd. Zum Beispiel war es unter diesen Umständen möglich, mit Mia Zabelka in ihrem Klanghaus in Untergreith, Südsteiermark, eine gemeinsame „trans-Art“-Performance zu gestalten.
Jürgen Vonbank: Wenn es darum geht live zu streamen, sind da natürlich schon einige Dinge zu beachten. Einerseits natürlich technischer Natur hinsichtlich Tonqualität, Internetverbindung, Synchronizität etc. Beim Streamen von DJ-Sets wird dann leider auch oft auf die kritische Situation mit den Urheber- und Vertriebsrechten vergessen. Und so kann es dann auch passieren, dass man viel Arbeit in die Produktion steckt, der Stream dann aber kurzerhand stumm geschalten oder blockiert wird.
Marco Döttlinger: Aus meiner Sicht gehen vor allem Formate noch, die schon für den Screen entwickelt worden sind. Also Videos, etc. mit bzw. von Musik und MusikerInnen. Nur ist das weder organisatorisch noch finanziell immer realistisch und häufig fehlt dann einfach die Zeit, um auch konzeptionelle Seiten einer Video-Arbeit miteinzubeziehen. (Wird fortgesetzt)
DrehPunktKultur dankt seinem Kooperationspartner Mica Austria. Das Interview mit den Vertreterinnen und Vertretern der Salzburger Szene ist auch nachzulesen auf - www.musicaustria.at
Bilder: www.rockhouse.at ; www.names-ensemble.com
Zum ersten Teil Sehr viel Arbeit für wenig Geld
Zum dritten Teil Ein „Like“ ist kein Feedback