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Höhere Offenbarung am „Ende der Musik“

FEUILLETON / BEETHOVEN / 250. GEBURTSTAG

16/12/20 „Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie“, postulierte Ludwig van Beethoven. Nach Meinung vieler seiner Zeitgenossen hatte er das „Ende der Musik“ erreicht. Ab 1792 lebte der Spross einer Musikerfamilie mit niederländischen Wurzeln bis zu seinem Tod 1827 in Wien.

Von Gottfried Franz Kasparek

Am 17. Dezember 1770 wurde Beethoven in der Pfarrkirche St. Remigius in Bonn getauft, wahrscheinlich hat er am Tag davor das Licht der Welt erblickt. Hypothetisch also jährt sich heute Mittwoch sein Geburtstag zum 250. Mal. Der Komponist war fünfzig Jahrfe alt, als Joseph Karl Stieler eben zum Hofmaler der bayerischen Könige ernannt, 1820 sein idealisierendes Porträt malte. Lebensnäher gewiss jene beiden fast gleichen Porträts, die Ferdinand Georg Waldmüller 1823 schuf. Eines davon besitzt das Kunsthistorische Museum Wien, das zweite, das dem Verlag Breitkopf & Härtel gehörte, wurde 1943 zerstört.

Eine alte, 1927 erschienene Beethoven-Biografie des niederösterreichischen Romanciers, Geigers, Organisten, Juristen und Bundesbahn-Zentralinspektors Ottokar Janetschek trägt den Titel „Der Titan“ und war einst sehr populär. Das Buch, eine an sich gut geschriebene Hagiografie, zeichnet den Komponisten als schwer mit dem Schicksal ringendes Originalgenie und vermag heute nur mehr als Zeitdokument der Rezeptionsgeschichte zu interessieren. Allzu romantisch erscheint uns heute „Beethovens Lebensroman“, wie das anbetungsvolle Werk im Untertitel heißt. Der große „Ludwig van“ war ein Mensch mit Ecken und Kanten, ein republikanisch denkender, politisch wacher Mann, zweifellos gepeinigt von Krankheiten, zweifellos oft einsam, aber möglicherweise Vater einer unehelichen Tochter und überdies ein guter Geschäftsmann – von dem Vermögen, das er hinterließ, umgerechnet etwa 150.000 Euro, konnten die meisten seiner Kollegen nur träumen.

Aller Kritik an seiner „neuen Musik“ zum Trotz galt er ab etwa 1805 als der unumstritten größte Komponist seiner Zeit, als Vollender der Klassik, der es aber nicht beim Vollenden belassen, sondern wesentliche Wegmarken in die Zukunft der Musik gelegt hat. Dies gilt auch für seinen vielfältigen musikalischen Kosmos, beruhend auf Haydn und Mozart, voraus weisend auf Berlioz, Brahms und Mahler. Natürlich war er ein Mensch in seiner Umwelt, an der Kippe zwischen Rokoko und Romantik. Neben ihm arbeitete, wenn auch lange Zeit unerkannt, Franz Schubert an einem anderen, genauso zukunftsträchtigen Konzept. Neben ihm feierten Rossini und Weber bleibende Triumphe. „Titanen“ waren sie alle nicht, sondern forschende, suchende, genial begabte Künstler einer Zeitenwende.

Beethovens Ausdrucksspektrum war groß. Seine Symphonien zum Beispiel zeigen auf ganz unterschiedliche Weise die Faszination, die von ihm ausgeht. Auf der einen Seite das „Heldische“, Kämpferische, lyrisch Ernste, Energiegeladene der „Dritten“, der„Eroica“ – auf der anderen die verspielte, immer noch eher selten gespielte „Achte“, die deutlich zeigt, dass ihr Schöpfer auch mit listigem Humor und Lust an der parodistischen Pointe gesegnet war. Oder die „Sechste“, die „Pastorale“, welche mit ihren Programm und den ineinander organisch verwobenen Sätzen drei bis fünf als Urknall der „Symphonischen Dichtung“ gelten kann. Und gar erst die „Neunte“, drei Sätze geballter harmonischer Visionen und ein vierter Satz, der einen der schrecklichsten Texte, die der verehrte Friedrich Schiller je geschrieben hat, in einen geradezu wütenden Hymnus der Freude verwandelt. „Freude schöner Götterfunken“ – dies ist auch ein massentauglicher „Popsong“, der leider recht häufig zur Feier totalitärer Systeme benützt wurde. Wie auch das Opern-Schmerzenskind „Fidelio“.

Dass dieser spätestens um 1815 endgültig gehörlos gewordene Musiker, noch dazu scheiternd bei wohl mehr als bloß einer „Unsterblichen Geliebten“, dieser raue Geselle und fanatische Naturliebhaber, dieser leidenschaftliche Anhänger der Ideale der Französischen Revolution mit besten Verbindungen zur altösterreichischen Aristokratie, dieser angeblich erste „freischaffende“ und „bürgerliche“ Künstler zum modernen Mythos wurde, verwundert nicht. Ebenso nicht, dass er, trotz Bach und Mozart, wohl zum allerpopulärsten „klassischen“ Komponisten wurde. Das Feuer seiner Musik, ihr loderndes Pathos und ihre übrigens hart erarbeitete eingängige Melodik mit pochendem Schicksal und drängender Emphase waren etwas komplett Neues. Dabei konnte der von Tragik umwölkte Einzelgänger Beethoven auch ein Meister intimer, poetischer Momente sein. Man denke nur an die eigenartig suchenden langsamen Sätze der fünf Klavierkonzerte, an das Violinkonzert, an viele Sätze seiner stilbildenden Klaviersonaten und Streichquartette. Und sein grimmiger Witz spiegelt sich nicht nur in der „Wut über den verlorenen Groschen“, sondern auch in köstlichen Bearbeitungen von Volksliedern, bis hin zu „I bin a Tiroler Bua“.

Mit Beethoven, dem berühmtesten aller großen „Wahlwiener“ der Kunstgeschichte, wird man nicht fertig. Nicht einmal Jubeljahre schaffen das. Seine persönlichste Botschaft war wohl die der Freiheit des Individuums. Eine zeitlose Botschaft ist dies, auch in ihren Grenzen, die sich gerade wieder einmal zeigen. Über das Eingangszitat von der höheren Weisheit der Musik, ja der Kunst sollten anno 2020 Leute nachdenken, die sich herablassend über lästige „Kulturverliebte“ äußern. Der Irrtum, dass nach Beethoven nichts Neues mehr in der Musik zu sagen sei, kehrte in Bezug auf Wagner wieder, führt sich also immer wieder ad absurdum. Ohne die neuen Wege, die Menschen wie Beethoven eröffnet haben, wäre freilich das Neue, das die Nachfolgenden finden, nicht möglich.

Bilder: Wikimedia

 

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