Wenn die Klassik abrockt kommt die Fee
MOZARTEUMORCHESTER / PINNOCK / DOVGAN
23/10/20 Das Orchester tobt sich in einer Haydn-Walze aus, bis die Därme glühen. Die kindliche Freude an organisiertem Lärm stellt jeden Hardrock-Event in den Schatten. Eine jugendliche Klaviersolistin besänftigt mit betörenden Klänge die Aufwallungen des großen Partners.
Von Erhard Petzel
Trevor Pinnock umgibt eine einzigartige Aura, die nicht allein aus dem Bekanntheitsgrad des Musikers gespeist ist. Die hagere Gestalt scheint vom Geist der Musik getragen. Sein Antlitz, das eines verschmitzten Alten,ist geprägt von einem freundlichen und steten Lächeln, das er über alle seine Musizierenden ausgießt.
Ohne Taktstock sind die Hände das Werkzeug, dem die innere Geschmeidigkeit der Jugend geflohen ist, das stattdessen den energischen Tanz um die agogische Phrase verlängert und auf den verbreiterten Punkt bringt. Kurz gesagt: Es freut ihn sichtlich, wenn es rund geht und er mit vollem Körpereinsatz die Klassik abrockt.
Und dafür kommt ihm Haydns Symphonie D-Dur HOB. I:86 gerade recht. Zunächst ein Einweichen in den Puls, in den die langsam schwingende Einleitung einfällt. Schon hier regiert knackige Dynamik von ungestümer Lautstärke, die von den rhythmischen Schlägen des Hauptthemas übertroffen werden wird. In jugendlichem Übermut stürzt der akrobatische Impulsaktivist das willige Orchester voll überschäumender Freude in den Lärm, der dennoch nicht entgleist und sich den räumlichen Anforderungen fügt. Das Seitenthema kommt in seiner direkten Frische dann fast eine Nuance gröblich.
Man tut Pinnock dennoch unrecht mit dem Verdacht, dass es ihm leicht langweilig wird, wenn es nicht voll abrauscht. Der langsame Satz mit einem Haufen Fermaten und Trugschlüssen zwischen den pulsierenden Bögen um ein redundantes Grundthema, auch das macht Genuss, zumal schräges Aufbegehren lustvoll mit weiten Armen ausgespielt werden kann. Das Menuett reizt mit gezielt eingesetzten Gegenrhythmen bei allgemein ans Militärische grenzender Akkuratesse. Das Trio bietet Blasmusi mit Spezialfermaten. Attacca geht es ins Finale. Das Orchester tobt sich in einer Haydn-Walze aus, bis die Därme glühen. Dem Horn werden keine Grenzen gesetzt. Die kindliche Freude an organisiertem Lärm stellt einen Hardrock-Event in den Schatten. Da wird die Corona bedingte Kürze des Programms durch konzentrierte Intensität ersetzt. Naturgemäß rauschender Jubel im Publikum.
Ein weiterer Klassiker stand auf dem Programm des zweiten Donnerstagkonzertes (22.10.) mit einem Kind als Konzertpianistin: Alexandra Dovgan ist als blutjunge Solistin für Beethovens zweites Klavierkonzert der zweite Star des Abends, zum Dirigenten im aparten Kontrast stehend. Die 13-Jährige Russin blickt schon auf ein Konzertleben zurück, unter anderem einem Rezital-Debüt 2019 bei den Salzburger Festspielen. Im Goldkleid tritt sie gemessen ihr würdevolles Amt als kindliche Priesterin der hohen Kunst an. Hier könnte das Orchester vielleicht etwas dezenter losgelegt haben, dass der Unterschied im Schallpegel zum Klaviereinsatz eine Spur milder ausgefallen wäre. Der Dialog im ersten Satz zwischen Klavier und Orchester ist elegant, die Kadenz aufwendig und kontrapunktisch komplex.
Nach dem erhabenen Orchesterchoral des Beginns des zweiten Satzes schmiegt sich das Klavier ein in ein delikates Wechselspiel von mozartscher Feinheit. Dovgans betörende Klänge besänftigen die Aufwallungen des großen Partners; schließlich bleiben Klangperlen ätherisch im Raum schweben, bis der Dialog in den versonnenen Schluss geführt wird. Heiter und burschikos setzt das Klavier das Thema des Schluss-Rondos, das zu neckischen Zwischenspielen eine fulminante Partnerschaft mit dem Orchester eingeht. („Es wäre nicht richtig, die 12-jährige Alexandra Dovgan als ,Wunderkind‘ zu bezeichnen, denn ihr Klavierspiel ist zwar ein Wunder, hat aber nichts Kindliches an sich. Ihre Interpretationen sind die einer Erwachsenen, einer voll ausgeformten Persönlichkeit“, sagte übrigens niemand geringerer als Grigory Sokolov, der 2019 Alexandra Dovgan in einem Sonderkonzert der Salzburger Festspiele vorstellte, Anm.)
So viel Freude, Anmut und Schönheit Angesichts der Generationen umspannenden Besetzung von Orchesterleitung und Solistin bewegt das Publikum zu Begeisterungsstürmen, die schließlich mit zwei Draufgaben Dovgans belohnt werden. Ein Abend der Freude für das Mozarteumorchester Salzburg, Trevor Pinnock, Alexandra Dovgan und das Publikum.
Bilder: AMC Music / Oscar Tursunov (2); trevorpinnock.com / Gerard Collett (1)
Die Konzerte des Mozarteumorchesters - www.mozorch.at