Wie klingt Stadt in Kunst-Ohren?
StART / OENM / CORPUS STADT
19/09/20 Tatsächlich, Stadt klingt an der Peripherie anders als im Zentrum. Das Klappern von Hufen wird man in der Hofstallgasse eher vernehmen als in Lehen. Zwei junge Komponisten nutzen Elektronik und beschäftigen das oenm.
Von Reinhard Kriechbaum
Dislozierte Blechbläser auf dem Domplatz sowie auf den beiden Balkonen der Residenz und des langen Gangs von St. Peter empfangen die Hörer – oder versuchen Passanten zum Ohrenspitzen, gar zum Verweilen zu bewegen. Letzteres gelingt kaum, wer lässt sich schon von flashmobartiger Musik vom rechten Weg der Stadtbesichtigung abbringen? Eine junge Touristin greift herzhaft zu, als der Wind das Notenpult des Tubaspielers umzuwerfen droht. Danke! Ein anderer kommt mit Mundschutz und schaut dem Spieler über die Sc hulter, neugierig geworden, was da wohl in den Noten steht. Insgesamt aber doch etwas für bewusste, zielgerichtete Hörer. Dem optischen Eindruck nach Kern-Stammkundschaft für Neue Musik.
Zweite Station: der Bogendurchgang zur Franziskanergasse. Wenn Elektronik (eben Tonaufnahmen aus den Randbezirken der Stadt) und Live-Musik – hier die Akkordeonistin Karin Küstner – zusammen kommen, braucht's einen akustisch einigermaßen geschützten Raum. Die beiden Komponisten Alexander Bauer und Marco Döttlinger setzen nämlich nicht aufs Knallige, sondern spinnen aus dem aufgenommenen Alltags-Klang, der alsbald elektronisch verwandelt wird, und den instrumentalen Beiträgen durchwegs feines Gewebe. Da ist man schon angehalten, sich drauf einzulassen und die Ohren zu spitzen.
Folgerichtig geht der Weg – folgen Sie einfach dem Klarinettisten Theodor Burkali – weiter unter die Arkaden im Hof der Residenz, wo zwei Bassklarinetten und Schlagzeug (samt Melodica) mit der Elektronik dialogisieren. Die zeitgenössische Musik irritiert nur wenige jener paar Leute, die beim mobilen Ticket-Stand für die nachmittägigen Residenz-Konzerte ihre Karten abholen. Kein Fall von gegenseitiger Geschäftsstörung. Einige Touristen, die vom DomQuartier-Rundgang die Stiegen herunterkommen, wundern sich vielleicht ein wenig. Ein Museums-Mensch tippt sich an die Stirn und macht die Flügeltüren zu. Bloß kein Lärm nach oben in die heiligen Hallen...
Weiter wandert der Troß, nun einem Trio aus Trompete und zwei Posaunen folgend, am Tomaselli-Kiosk vorbei, durch Churfürststraße und Ritzerbogen in die Kollegienkirche. Oh je, Mund-Nasenschutz vergessen! Kein Problem, für solche Notfälle sind Masken beim Eingang vorrätig.
Im Kuppelraum sitzen sechs Blechbläser im Kreis, im Zentrum sechs Lautsprecher. Zuhörer ordentlich im Meterabstand verteilt in Langhaus und Querschiffen. Hier hört man den Hauptteil der Komposition: Erst Wortfetzen aus je einem Lautsprecher, auf die der jeweilige Spieler davor subtil antwortet. Allmählich verdichtet sich das Geschehen, eine feine Kammermusik aus Elektronik und den Bläsern entsteht. Ja, das Verweilen in der kühlen Kirche lohnt, auch wenn die wärmende Herbstsonne draußen lockte.
Die Komposition Corpus Stadt von Alexander Bauer und Marco Döttlinger führt also ganz real und im übertragenen Sinn von außen nach innen, von der zufälligen Musik-Begegnung zum gezielten, konzentrierten Hören. Gut gelungen. Ja freilich, es ist ein wenig die Neuerfindung des Rades. Seit mindestens fünfzig Jahren unternehmen Komponisten allerorten Vergleichbares. Die elektronischen Mittel werden aber subtiler. Und Salzburg ist wirklich schön für eine solche Altstadt-Musikwanderung und besonders schön, weil situationsbedingt für Mitte September auffallend wenig Leute unterwegs waren an diesem Freitagnachmittag (18.9.).