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Verhüterli für Bruckner und Wagner

HINTERGRUND / MUSIKUNTERRICHT

08/05/20 Das Gedicht zur Stunde? „Wo man singet, laß dich ruhig nieder, / Ohne Furcht, was man im Lande glaubt; / Wo man singet, wird kein Mensch beraubt; / Bösewichter haben keine Lieder.“ Die gute Nachricht: des Musikunterrichts werden unsere Kinder nicht beraubt, wenn in einer Woche die Schulen wieder aufgesperrt werden. Es wird aber nicht gesungen.

Von Reinhard Kriechbaum

„Was man im Lande glaubt“ ist nämlich, dass Sänger, so mit Covid-19 infiziert, Virenschleudern von geradezu extraordinärer Gefährlichkeit sind. Höchstens Trompeter werden als noch gefährlicher eingestuft. In Österreich wird ja, so heißt es oft, alles ein bisserl g'schlampert gehandhabt (darum haben dieser Tage erst die Intendanten der Landestheater nach klaren, verbindlichen Regeln zur Wiederaufnahme des Betriebs verlangt). In Deutschland ist man pingeliger. So hat die VBG (Gesetzliche Unfallversicherung Deutschland) vor anderthalb Wochen schon Richtlinien herausgegeben, wie der Schutz von musizierenden Menschen untereinander und jener des Publikums vor Musikern tunlichst aussehen soll. „Musiker mit Blasinstrumenten müssen in Blasrichtung mindestens zwölf Meter Abstand zur nächsten Person einhalten, in den anderen Richtungen mindestens drei Meter“, und „bei Singenden oder exzessiv Sprechenden ist ein Abstand von mindestens sechs Metern einzuhalten“. Sonst reichen anderthalb Meter, was weltfremd genug ist.

Musikunterricht wird es also geben, wenn Kinder im Pflichtschulalter demnächst wieder in die Schule gehen. Dass das eigentlich nur beiläufig publik wurde, weil einer aus der Lehrergewerkschaft nach Gesprächen mit dem Bildungsministerium geplaudert hat, sei nur am Rande vermerkt. In Österreich reden die Gewerkschafter, nicht die Fachleute.

Gesungen wird also nicht in den Schulen, denn die letzte Zeile des Gedichts von Johann Gottfried Seume (1763-1810, im Bild links) gilt gerade jetzt nicht: Jetzt gerade sind diejenigen mit den Liedern die Bösen. Selbst die österreichische Bischofskonferenz, die ab 15. Mai vermutlich mehrheitlich gute Menschen in ihren Kirchen erwartet, hat fürs Erste ausgegeben, dass das gemeinsame Singen „auf ein Minimum zu reduzieren“ sei. Vor allem das Danklied entfällt, denn wenn sich die Menschen beim Kommunionempfang schon näher kommen als unbedingt nötig, gilt ab jetzt: abschließender Segen und schnellstmöglich alle raus aus dem Tempel!

„Beim – insbesondere – solistischen Singen werden vor allem bei der Bildung von Konsonanten Spuckepartikel, also Tröpfchen, ausgestoßen.“ So warnt man Claudia Spahn vom Freiburger Institut für Musikermedizin.

Wie gefährlich sind das Singen und das Trompetenspielen nun wirklich? Der Österreichische Blasmusikverband hat natürlich größtes Interesse daran, dass die Kapellen rasch wieder ausrücken können. Drum hat man bei Wilfried Kausel, dem Leiter des Instituts für musikalische Akustik an der Musikuniversität Wien, als Experten nachgefragt. Der sieht die Sache entspannt. Er erinnert an einen Kork im Wasser, der von Wellen zwar bewegt, aber nicht weitergespült wird. „Schallwellen sind durch periodische Schwingungen der Luftmoleküle um ihre Ruhelage charakterisiert. So wie in Wasserwellen am offenen Meer findet kein Materie-Transport statt. Die Luftmoleküle samt den möglicherweise vorhandenen infektiösen Keimen schwingen lediglich hin- und her, werden aber nicht weitertransportiert.“

Das haben wir so alle eh in der Schule gelernt, man brauchte der Physik bloß zu glauben. Die Bewegungsamplituden betrügen demnach selbst im Trompeten-Fortissimo „nicht mehr als 1.5 cm/s also etwa ein Zwanzigstel von 1 km/h“, erklärt Wilfried Kausel.

Die Luftgeschwindigkeit im Schalltrichter ist so gering (weniger als 2 km/h), so dass man mit einem Trompetenton nicht einmal eine Kerze ausblasen kann. Beim Trompetenspielen passiert nicht mehr als beim normalen Atmen. Eine Ausnahme: Wenn die Trompeten, Posaunen und Wagner-Tuben so richtig „schmettern“, macht das schon ordentlich Wind. Der Akustik-Professor weiß simple Abhilfe: Lebensmittelfolie mit ein paar Luftschlitzen über den Schalltrichter gestülpt – das habe keine Auswirkungen auf den Klang, aber etwaige Keime in der Luft würden gebremst. Ein simples Verhüterli für Bruckner und Wagner. „Wir werden in den nächsten Tagen Experimente machen, um die Praxistauglichkeit der Idee zu überprüfen“, so Wilfried Kausel in seiner Expertise.

Den Holzbläsern schreibt Kausel ebensowenig Potential zu höherer Tröpfcheninfektion zu. Auch mit Flöte oder Klarinette könne man keine Kerzen ausblasen. „Die Luftgeschwindigkeit beim Niesen und beim Husten übersteigt mit einiger Sicherheit die im Luftstrahl des Flötisten oder der Flötistin. Trotzdem erachtet man ein bis zwei Meter Abstand als ausreichend.“

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kamen Sachverständige der Berliner Charité: anderthalb Meter zwischen Streichern, zwei zwischen Bläsern, bei letzteren möglicherweise auch Plexiglas-Trennwände. Dirigenten, die viel reden, sollen auch zwei Meter wegrücken von der ersten Musiker-Reihe.

Und in den Musikschulen? In Salzburg ist die Handlungsanweisung zur Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts im Musikum gerade im Stadium der behördlichen Begutachtung. Für die steirischen Musikschulen gibt es bereits eine zehnseitige, höchst pingelige Liste an Vorgaben. In der Steiermark beginnt der Hauptfachunterricht demnach bereits am kommenden Montag (11.5.). Dreiergruppen sind bis Anfang Juni das Maximum. Als Raumgröße für Einzelunterricht verlangt man mindestens zwölf Quadratmeter und „freien unverstellten Raum für die Positionen des Lehrenden und der jeweiligen SchülerInnen mit einer Distanz von 1,5 – 3 Meter“. Die drei Meter gelten für Blasinstrumente und Sänger. Zu den eher skurrilen Vorschriften gehört das Tragen von Gummihandschuhen, wenn der Lehrer die Geige der Schüler stimmt. Und besonders zu beachten:

 

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