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Tiefgefrorene Entdeckerträume

STIFTUNG MOZARTEUM / WINTERREISE

24/02/20 Der du so lustig rauschest, du heller wilder Fluss... an diese Zeilen aus Schuberts Winterreise mag sich Carl Weyprecht, ein wackerer Flussschiffer, Ende August 1872 vielleicht wirklich erinnert haben. Sein Forschungsschiff, die Tegetthoff, war endgültig zwischen den Eisschollen gefangen und festgefroren. Es sollte sich keinen Meter mehr selbsttätig bewegen.

Von Reinhard Kriechbaum

Nur zweieinhalb Monate waren vergangen, seit die Tegetthoff und mit ihr 24 Männer, zehn Hunde und zwei Katzen in Bremerhaven ausgelaufen waren, zur ersten und einzigen Nordpol-Expedition im Auftrag der Habsburg-Monarchie. Ein Himmelfahrtskommando von Eismeer-Greenhorns, die zwar eine Inselgruppe entdeckten und ihr den Namen Franz-Josephs-Land gaben, aber unter unendlichen Strapazen und mit einer großen Portion Glück die eigene Haut retteten. Etwas über zwei Jahre dauerte ihre Winterreise. Die Männer haben fleißig Tagebuch geführt. Dazu war viel Zeit. Daraus las am Freitag (21.2.) Harald Krassnitzer im Großen Saal des Mozarteums. Dazu Schuberts Liederzyklus, in einer beispielhaften Interpretation durch den jungen deutschen Bariton Benjamin Appl und des Pianisten James Baillieu, eines vorwiegend in England ausgebildeten Südafrikaners.

Eine auf den ersten Blick befremdliche Kombination von Text und Musik, gilt Schuberts Winterreise doch als der individuelle Verzweiflungsgesang eines verschmähten Liebenden. Man wurde eines Besseren belehrt. Was für fulminante Bild-Parallelen haben sich da ergeben! Entsprechungen vom Wegweiser über das Irrlicht bis zu den Nebensonnen, von denen in der Polarnacht zu träumen schon ans Pathologische grenzt. Wo ich eine Blüte, wofind ich grünes Gras heißt es im Lied Erstarrung – dem stand die Tagebuch-Notiz des zweiten Expeditionsleiters, Julius Payer, gegenüber. Er sinniert, dass es in bei dieser Reise nicht um Ehrgeiz, sondern um Wissenszugewinn gehen solle. Peyer war ein wackerer k&k-Leutnant, der vom Polareis ungefähr so viel Ahnung hatte wie sein Kollege Weyprecht vom offenen Meer. Bukolisch surreal wirkte das Posthorn, nachdem davon die Rede war, wie der Maschinist Klotz in der Silvesternacht den Champagner-Umtrunk vermasselt hatte, durch Tiefkühlen bei unter vierzig Grad.

Das war jedenfalls deutlich mehr als Illustration durch Musik, und auch für die Komposition erbrachte die feinfülig kalkulierte Textmontage neue Perspektiven. Wie existenziell destruktiv manche Schubert'sche Natur- und Kälteschilderung ist, konnte man oft nachfühlen: Ich träumte von bunten Blumen in dem Moment, da die polarnächtliche Dezember-Depression die Reisenden erfasst. Das war übrigens auch ein Höhepunkt in der musikalischen Gestaltung: Wenn es einen geborenen Sänger gibt für die Winterreise, dann wohl Benjamin Appl, der seiner Stimme einmal bedrohliche Schwärze, viel öfter aber nebelgrau-melancholische Farben zu geben versteht, die unter die Haut gehen. Für Schuberts Die Krähe findet Appl ein geradezu irreales Timbre, das wirkt wie ein erfrorener Fiebertraum.

Es wachsen glücklicherweise nicht nur geborene Winterreise-Sänger wie Benjamin Appl nach, auch geborene Winterreise-Begleiter: Die Eigenständigkeit und Gedankenoffenheit der Gestaltung durch den Pianisten James Baillieu sucht ihresgleichen. So originell und ergiebig die Kombination des Liederzyklus mit den Expeditions-Tagebüchern letztlich war: Der Winterreise in dieser außerordentlichen Interpretation durch Appel und Baillieu wollte man gleich nochmal – und in voller Konzentration allein auf die Musik – begegnen.

Wie aussteigen aus der literarisch/musikalischen Botschaft aus Kälte und Eis? Melodramatisch über der leise weitergeführten Klavierbegleitung zum Leiermann holte Harald Krassnitzer noch zu einem Epilog aus: Heutzutage gehört der Schauplatz Franz-Josephs-Land zum russischen Territorium, und von einer Militärstation dort wacht man, dass niemand anderer Begehrlichkeiten hat auf diesen Fleck Eiswassers, unter dem sich beachtliche fossile Energiereserven befänden...

Bilder: dpk / Elisabeth Aumiller

 

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