W.O.bei?
BACH WERK VOKAL / BACH / PLANYAVSKY
07/01/19 Die letzte Möglichkeit, mit Vollendung umzugehen, ist, ihr etwas zu geben, indem man ihr etwas nimmt. Peter Planyavskys Stück W.O.bei berührt auf diese Weise Bachs Weihnachtsoratorium. Kurze ‚Vorspanne‘ zu den sechs Kantaten des Weihnachtsoratoriums waren eine Idee von Gordon Safari.
Von Franz Jäger-Waldau
Es herrscht Übereinstimmung, wie die Geschichte endet: Der Sohn des Protagonisten stirbt und rettet damit die Welt. Der Weg zur Rettung ist etwas komplizierter. Es ist ein Weg, der immer verzweigter wird. Nur eine Frage der Zeit, bis einer kommt, der verlangt, vielleicht noch einmal den Wegweiser aufzuschlagen und nachzuschauen, was dort tatsächlich geschrieben steht. Geschrieben steht dort scheinbar auch, dass der Protagonist nicht abgebildet werden darf. Ohne Bilder müssen Geschichten aber anders erzählt werden. Etwa mit Musik.
Salzburgs Evangelische Christuskirche verkörpert diese Ideen mit zugespitzten neugotischen Gliedern, weißen Wänden und ihrer schönen hölzernen Kassettendecke. Von innen könnte sie genauso gut ein altes, in den Himmel gewachsenes Bauernhaus sein. Nicht ein Goldschmied, sondern ein Zimmerer wäre an ihr reich geworden. Nichts ist hier, wie Salzburg sonst ist: Barock. Die ungeschmückten Stellen füllt Musik. Am Dreikönigstag waren es der zweite Teil des Bach'schen Weihnachtsoratoriums und eine Uraufführung „nach“ oder „zu“ Bach.
Der Christuskirche steht Bach – wie immer seit Gordon Safari dort tätig ist – gewohnt gut. Der Komponist Peter Planyavsky fügt Bachs Weihnachtsoratorium mit seinem Stück W.O.bei (wohl ein Code für die Gelehrten der Zukunft zusammen mit der Insider-Abkürzung für BWV 248) ein paar Takte bei. Unter dem Titel W.O.bei - Sechs Reflexionen zu Bachs Weihnachtsoratorium konzipierte Planyavsky ein seinerseits sechsteiliges Werk, das die sechs Teile von Bachs Oratorium reflektiert, meditiert und einleitet.
„Kurze ‚Vorspanne‘ zu den sechs Kantaten des Bach'schen Weihnachtsoratoriums“ waren eine Idee von Gordon Safari“ (ein Name, der eigentlich jeden Lebenslauf gelingen lassen müsste), des Leiters und Gründers des ausführenden Ensembles BachWerkVokal. Planyavskys „Vorspanne“ sind wie ihr Klangraum, Kreuzungen dünner Klänge, trockener Worte. Sie stellen sich fast ironisch vor die durch sie angekündigten Kantaten, besonders, wenn sie dabei manchmal Richtung Sci-Fi oder Insektendokumentation abgleiten.
„Es konnten keine ‚Stücke‘ werden mit zielgerichtetem klassischem Aufbau, schon gar nicht mit Choralsätzen, Fugen oder Arien. Nichts aus dem Formenkanon Bachs darf es hier geben, denn derlei träte sofort in einen Wettbewerb mit der ehrwürdigen Hauptsache, und er ginge zuungunsten des neuen Bestandteils aus“, erklärt Planyavsky. Seine Musik deckt den Tisch, legt sich auf den Teller, schlitzt sich sprühend den Bauch auf und wirft sich Bach als warmes Stück hin. Vielleicht ist das Höflichkeit, vielleicht Berührungsangst. Vielleicht eine versteckte List: Worte wie „Seid fröhlich, seid fröhlich, brecht in Jubel aus, jauchzt alle zusammen“ klingen leer und sarkastisch zu militanten Rhythmen. Der Vollkommenheit des Weihachtsoratoriums nähert sich W.O.bei, indem es sich ihr als etwas gibt, das ihr zugleich etwas nimmt. Außerdem wohnt W.O.bei quasi parasitär neben dem Weihnachtsoratorium: Um Planyavsky zu spielen, muss auch Bach gespielt werden.
Das Ensemble BachWerkVokal, Vokalisten wie Instrumentalisten, zwingt beiden keine Sentimentalität auf. Die fehlenden Ikonen oder Fresken an den Wänden ersetzt es mit dem Gestus angemessenen Erzählens: Max Tavellers (Bass) Stimme harmoniert mit seinem wie aus einem romantischen Altarbild geschnittenen Gesicht. Electra Lochhead (Sopran) strahlt zuletzt lächelnd über die Reihen. Es ist nicht schlimm, wenn unter dem Holz vielleicht ein paar Bleche schief sind.