Auf Eingeweiden
BACHGESELLSCHAFT / ESSAY / BAROCKE KLANGPRACHT
02/12/19 Paris Graf von Lodron wählt sich mit den Jahren von 1586 bis 1653 eine eher unangenehme Lebenszeit aus. Im Gegenzug wählt sie ihn zum Erzbischof von Salzburg. Das 400. Jubiläum dieser Höflichkeit war der Salzburger Bachgesellschaft ein prachtvolles Konzert wert.
Von Franz Jäger-Waldau
„Den Tag zu rupfen“ fällt den Menschen bei Ablenkungen wie dreißigjährigen Kriegen, Pest, Inquisition und Absolutismus weitgehend schwer. Vor genau 400 Jahren hat einer von ihnen allerdings das Glück, zum Salzburger Erzbischof gewählt zu werden. Ein Glück, das er weitergibt und durch intelligente Politik seine Stadt vor dem Feuer des Kriegs bewahrt. Als angenehmer Nebeneffekt stehen Paris von Lodron erspartes Geld und Menschenleben zur Verfügung, die er in den Bau der Universität, die Fertigstellung des Doms, aber auch in die Musikkultur investiert.
Nach dem Scheitern des humanistischen Geists an dem Gespenst der Neuzeit ist es zu seiner Zeit weniger „in“, Römer oder Grieche zu sein, lieber ist man etwa Italiener. Die Salzburger Dom- und Hofmusik auch: Italienische Komponisten wie Tiburtio Massaino und Stefano Bernardi werden angeschafft, der Hofkapellmeister Peter Gutfreund schleicht sich lässig als „Pietro Bonamico“ zwischen sie ein.
Kompositionen dieser Menschen wurden zum 400-jährigen Jubiläum der Wahl Paris‘ von Lodron zum Erzbischof vom Collegium Vocale der Bachgesellschaft mit dem Salzburger Barockensemble in der Aula Academica gespielt.
Die Universitätsaula ist in diesen vierhundert Jahren jünger geworden. Der bunte, barocke Wahnsinn ist unter dem zahnpastaweißen Verputz verloren. Ornamente und andere Spinnereien sind überdeckt, die Wandmalereien vom übermächtigen Nichts der Reinheit eingerahmt. Die Bühne selbst verschoben auf die andere Seite ihrer ursprünglichen Lage. Auf diese Bühne tritt der als „Herr Lehnert“ angekündigte neue Rektor der Universität (Prof. Dr. Dr. h.c. Hendrik Lehnert) mit einer Ansprache.
Die originalen Instrumente der Musiker dahinter bilden mit ihren warmen Darmsaiten und glänzenden Unreinheiten dagegen das wahre Barock noch ab. Eine Chitarrone (gespielt von Hans Brüderl) könnte eigentlich am Ende ihres Griffbretts aufhören, ihr Hals muss allerdings bis über die doppelte Länge weiterverlaufen und in zweiten Wirbeln enden, die zuletzt den Dirigenten (Paul Esswood) beim Verbeugen auf den Kopf treffen. Daneben bläst jemand (Matthijs Lunenburg) bescheiden den Zink.
In Stefano Bernardis, Tiburtio Massainos und Pietro Bonamicos Stücken klingt klar noch die Renaissance nach. Wie die Welt um sie herum finden sie sich in einer wilden Zeit wieder. Sie sind von ihr aber nicht auf den Boden zurückgeworfen, sondern architektonisch feinsinnig von oben herab aufgebaut. Die Instrumente verschwimmen dort mit den Stimmen, sodass das das Ensemble eher zur dynamischen Klanginstallation wird: Die Einzelteile klingen im individuellen Hinhören auf, sie sind mit dem Willen der sie Empfindenden verbunden. Die barocken Kompositionen sind dabei mehr Mechanik als Mechanismus, Organe als Organismen; ihre Funktion kann an keiner Stelle sicher fixiert, sondern die Musik nur als freier Intensitätsgenerator aufgenommen werden.
Das Salzburger Barockensemble und das Collegium Vocale gehen ganz in dieser Idee auf. Den Raum, der in späteren Epochen von selbstzentrierender Virtuosität eingenommen wird, lassen sie hier offen für die Kunst des genauen Hinhörens. Als hochdekorierter Countertenor mit 48-jähriger Erfahrung verkörpert der Dirigent Paul Esswood, wozu diese Kompositionen fähig sind. „Wundervoll, diese Musik, oder?“, fragt er am Ende ins Publikum. Ziemlich, stimmen alle zu.