Tod aus Wien und Liebe überall
LIEDERABEND / GROISSBÖCK / HUBER
05/11/19 Herz-Tod war das Motto von Günther Groissböck und Gerold Huber – ganz im Sinne der alten Paarung von Eros und Thanatos: Der erste Liederabend im Zyklus der Saisonkonzerte der Stiftung Mozarteum im Großen Saal endete mit Ovationen.
Von Erhard Petzel
Herz-Tod ist – da nicht medizinisch indiziert – ein unprätentiöser Aufhänger für einen Liederabend, da der klassische Liederkanon in erster Linie aus diesen beiden Motiven gespeist wird. Dennoch konnte durch die spezielle Zusammenstellung des Programms auch so etwas wie ein Allerseelenkonzert wahrgenommen werden, sofern sich jemand durch die terminliche Nähe dazu motiviert sah. Dazu standen am Beginn Vier ernste Gesänge op. 121 auf alttestamentliche Textewomit 1896 Johannes Brahms ein Jahr vor seinem eigenen Ableben auf den Tod Clara Schumanns reagierte. Vor allem das erste Lied baut sich als Choralmelodie über ostinat schreitende Klavierfiguren auf, wenn der Mensch als Sterblicher dem Vieh gleichgesetzt wird. Doch bei allem Zweifel am Weg des Geistes gibt es den Appell, fröhlich seine Arbeit zu verrichten.
In schumannscher Bewegung wird Ich wandte mich, und sahe an die Idee illustriert, dass besser gestorben sei als ungetröstet Unrecht zu erleiden. Noch besser, noch nicht geboren sein. O Tod, wie bitter bist du stellt die Bitterkeit des Todes für den gut Lebenden der Wohltat des Todes für den Bedürftigen gegenüber. Den – neutestamentlich paulinischen – Abschluss bildet Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen die balladeske Erhöhung der Liebe als wesentlichste der drei göttlichen Tugenden.
Mit dem Zusammenfassen christlicher Musiktraditionen auf biblische Texte schließt Brahms den Bogen zu seinem Deutschen Requiem. Und damit ist der Tod für diesen Abend auch ausreichend gewürdigt. Für den Rest reicht metaphorisches Sterben an Liebesqualen.
Wobei sich Günther Groissböcks so fulminanter wie präziser Bass auf dem Untergrund von Gerold Hubers geschmeidigen Klavierspiel zunächst über Schumanns Liederkreis op. 39 hermacht. Der steht wohl für das Herz ein, das Clara kurz vor ihrer Verehelichung bewegt hat. Bildet In der Fremde in seiner Absterbensvergessenheit die Überleitung von Brahms, gehen Eichendorffs Texte bei Mondnacht, Wehmut und Zwielicht in ganz anderen Seelensphären auf. Einmal entgrenzt sich das Individuum, ein andermal droht äußere Ungewissheit. In Liebe und Verlust lauert der Schauer, der auch beseligend über dem ganzen Zyklus liegt.
Nach der Pause dann eine überraschende Wendung. Mit Tschaikowsky und Rachmaninoff erhält man nicht nur seltene Liedkost, sondern diese auch noch auf Russisch. Darunter eine Übersetzung von Goethes Lied der Mignon und Heines Traum. Die Gedichte von Sherbina, Tolstoi, Fet, Pushkin, Tyutchev, Pleshcheyev und Merezhkovsky spielen die zahlreichen Facetten von Liebesbeziehungen wieder, im Schlusslied Atryvak (Einsamkeit) nach Alfred de Musset von Aleksandar Apuchtin jagt Rachmaninoff im Balladenton durch die furchtgetriebene Panik mitternächtiger Einsamkeit. Tschaikowskys Romanzen erinnern in ihren Stimmungen an Eugen Onegin, ein Ständchen des Don Juan outet sich als reißerische Bravour-Arie.
Groissböck findet im Russischen offensichtlich die Kraftquelle für Stimmstrom und Expressivität wie andere im italienischen Fach. Mit großer Lust und Hingabe wirft er sich in den Gestus der Figuren und genießt emotionelle Eskalation, wo sie sich anbietet. Die Sprache und ihr Fluss liegen seinem Bass ganz natürlich. Der Applaus für das Duo fiel frenetisch aus und erforderte drei Draufgaben, darunter Schuberts Erlkönig. Nachdem sich das Publikum zu stehender Ovation entschlossen hatte, setzte es mit einem aktualisierten Wienerlied – Ziehrers So schön wie’s einmal war – eine kleine Reminiszenz zum Festspielengagement des Sängers als Ochs auf Lärchenau. Obwohl Groissböck als Waidhofner natürlich kein echter Weana ist. Aber wer ist das schon.
Den nächsten Liederabend bei der Stiftung geben am 21. Februar Benjamin Appl, James Baillieu und Harald Krassnitzer mit Schuberts Winterreise mit Lesung - mozarteum.at
Bild: ISM / Julia Wessely