Sklavenleben
HOFHAYMER GESELLSCHAFT / EL CIMARRÓN
29/10/19 Esteban Montejo, 1860 geboren, war Sklave auf den Zuckerrohrplantagen Kubas. Er führte 104-jährig mit dem kubanischen Ethnologen und Schriftsteller Miguel Barnet ein umfangreiches Gespräch über sein Leben. Der Kompnist Hans Werner Henze selbst lernte den 108-jährigen Montejo 1969 kennen, 1970 wurde das Werk El Cimarrón uraufgeführt.
Von Erhard Petzel
Die Internationale Paul Hofhaymer Gesellschaft unter Philipp Lamprecht bespielt mit der Fronburg einen verwunschenen Ort mit Raritäten der klassischen Moderne. Es sind Werke mit aus der Norm fallenden ästhetischen Elementen wie etwa Schwitters‘ Ursonate oder nun am Montag (28.10.) Henzes El Cimarrón – auf einen von Hans Magnus Enzensberger zum Libretto gefassten Text von Esteban Montejo.
Die Frohnburg, Standort des Orff-Instituts der Universität Mozarteum, bietet sich nun rein assoziativ für ein Stück über das Schicksal eines einstigen Sklaven durchaus an. Leider scheint der Gunild Keetman Saal als Aufführungsort das Außenseiterschicksal der darin aufgeführten Werke hinsichtlich Publikumsaktivierung zu teilen. Es jammerschade um eine so intensive und beeindruckende Veranstaltung wie um die Möglichkeiten des Saales als professionelle Aufführungsstätte. Die Reihe der Internationalen Paul Hofhaymer Gesellschaft unter der Leitung von Philipp Lamprecht sollte stärker im Bewusstsein der Liebhaber der Moderne verankert werden, damit die Konzerte auch die Aufmerksamkeit erregen, die ihrem Rang gerecht wird. Vielleicht sollte man Shuttle-Kutschen über die Hellbrunner Allee andenken... Henzes jedenfalls Musik ist ausgesprochen attraktiv. Ein Instrumentaltrio steht hinter einem Bass-Bariton, wobei schon jeder meist seinen Part erfüllt, aber nicht nur. Henze greift mit vollen Händen in die Farbtöpfe der damals schon üppig angerührten Klangtechniken und führt lustvoll fort, wohin Schönberg bedrückend mit seinem Überlebenden aus Warschau hingeleitet hat. Robert Koller wird der Stimmakrobatik seiner Erzählerrolle nicht nur fulminant gerecht, zur grenzenlosen Palette menschenmöglichen Lautens verrenkt er sich besorgniserregend und unterstreicht die Musik mit hemmungslos exaltierter Expressivität in Gestik und Ausdruck.
Das El Cimarrón Ensemble – Schlagwerk, Gitarre, Violine, Flöten, Stimme – beschränkt sich nicht auf eine bloß musikalische Wiedergabe. Michael Kerstan baut als Regisseur eine szenische Performance um Tisch, Sessel, zwei Flaggen und Szenenbeleuchtung. Dazu kommen die originalen Extras mit Kette und Guiro, womit der Sänger demonstrativ das Geschehen unterstreicht. Die Musik persifliert und imitiert nicht nur etliche Genres und Stile (Henze setzte sich auf Kuba mit lokalen Traditionen auseinander), sondern zeigt auch keine Hemmungen im programmatischen und emotionellen Untermalen der ausgespielten Umstände. Die Ensembles um Gitarre (Christina Schorn-Mancinelli), Flöten (David Gruber) und Perkussion (Ivan Macinelli) betören in allen möglichen Kombinationen und Interaktionen untereinander und mit dem Sänger, der, das Kriegsgetöse übersteigernd, fallweise zum Mikrofon greift.
15 Szenen umschreiben in kontemplativer Betrachtung und chronologischer Entwicklung den Werdegang eines elternlosen Kindes, das mit Zehn seinen ersten Fluchtversuch von der Zuckerrohrplantage wagt, die unsäglichen Misshandlungen und Lagerbedingungen, das erfüllende Leben im Wald nach erfolgreicher Flucht bei nichterfülltem Sexualleben, das gründlich nachgeholt wird in Zeiten der Befreiung, die als ebenso wenig zufriedenstellend erfahren wird wie die Errungenschaften der Revolution nach dem siegreichen Freiheitskampf. Die Persönlichkeit eines uralten Veteranen in seiner Rhetorik und seinem kulturellen Untergrund wird auf mitreißende und bedrängende Weise zum auf höchstem Spannungsniveau eindrücklichen Ereignis. Entsprechend enthusiastisch der Schlussapplaus.