Leidenschaften und Freiheitshoffnung
STIFTUNG MOZARTEUM / FAZIL SAY
20/05/19 Fazil Say und das Minetti Quartett. Kammermusik im Großen Saal des Mozarteums, und der Saal ist praktisch voll. Das geht also doch noch, wenn ein charismatischer Musiker und ein frisches junges Streichquartett einen durchaus bunten Konzertabend gestalten und Beifallsstürme ernten.
Von Gottfried Franz Kasparek
Zu Beginn am Dienstag (28.5.) die Appassionata von Ludwig van Beethoven. Fazil Say spielt nicht nur die immer noch aufregend expressiven Töne der Sonate in f-Moll op. 57, er erlebt sie, er schafft sie neu. Nach lyrisch verhaltenem Beginn explodiert, vorbereitet durch das hart und lapidar akzentuierte „Schicksalsmotiv“ der 5. Symphonie, der hämmernde Rhythmus. Fazil Say lässt den Steinway dröhnen und krachen. Man weiß, dass Beethoven die Hammerklaviere seiner Zeit äußerst unsanft behandelt hat. Sie reichten nicht aus für seine kühnen Visionen, für seine klangliche und emotionale Expansion. Unweigerlich entwickelt sich ein dramatischer Sog, den die feierlichen Choralvariationen des Mittelsatzes nur kurz unterbrechen, ehe erneut und mit aller Brutalität düstere Leidenschaft losbricht. Man würde gern gleich noch ein paar Beethoven-Sonaten mit Fazil Say hören!
Es geht allerdings weiter mit dem Es-Dur-Klavierquintett von Robert Schumann. Der Pianist ist das fordernde Zentrum des Geschehens, er kann aber auch perfekt mit dem Quartett atmen. Die mitunter mit süßen Tönen feine Kontraste schaffenden Geigerinnen Maria Ehmer und Anna Knopp, der leuchtende, aber stets nuancierte Linien schaffende Bratscher Milan Milojicic und der souverän vermittelnde, mit intensiven Farben das Gefühlspanorama der klingenden Erzählung nachzeichnende Cellist Leonhard Roczek ergeben mit Fazil Say ein wundersam transparentes Ensemble, das eine gewisse unterschwellige Spröde packend mit jener hell-dunklen Poesie des Lebens und der Liebe verbindet, die Schumanns Credo war.
Nach diesen Gefühlsbädern und der Pause kommt das Minetti Quartett allein zum Zug. Was für eine unglaubliche Entwicklung hat der Beethoven des G-Dur-Quartetts op. 18/2 von 1799 zu dem der Appassionata von 1805 gemacht! Im luziden frühen Quartett lugt gleichsam noch Joseph Haydn mehr freundlich als ironisch hinter den Noten hervor und herrscht im fröhlichen Finalsatz der Geist mozartscher Schönheit. Die Tiefe unter der unterhaltsamen Oberfläche der Vorbilder erscheint oft eher ausgeblendet zu sein, aber im Scherzo wird dann doch schon der grimmige Witz des Nachfolgers spürbar. Das Minetti Quartett zeichnet dies alles sorgfältig nach, in wahrhaft klassischer Ausgewogenheit.
Am Ende steht Yürüyen Köşk (Das verschobene Haus), eine 2017 geschriebene „Hommage à Atatürk“ für Klavier und Streichquartett von Fazil Say. Eine einsätzige Fantasie mit vier Abschnitten, deren Titel wie „Aufklärung“ und „Glaube ans Leben“ ein eindeutiges Bekenntnis zur Freiheit ablegen. Atatürk, der Vater der latent gefährdeten modernen Türkei, ließ einst sein ganzes Sommerhaus verschieben, um eine Platane ungehindert wachsen zu lassen. Says Musik schreckt vor allerlei Zitaten moderner Klassik nicht zurück, gehört aber dennoch ganz ihm selber. Wie immer in seinem Oeuvre verbinden sich alte osmanische Motive mit tonal zentrierter Moderne und einer unverwechselbaren Aura, die man vielleicht als neuen Impressionismus bezeichnen könnte, wäre diese Schublade für diese zutiefst empfundene und gleichzeitig brillante Musik nicht allzu eng. Das Stück, eigentlich ein verkapptes Klavierkonzert, lässt den Wind in den Zweigen des Baums flüstern, führt zu gefühlvollen Aufschwüngen mit leicht jazzigen Facetten und endet im hellen Zwitschern der Vögel auf den Ästen. Der Komponist und die „Minettis“ verzauberten damit den Regenabend.
Dazu ein CD-Tipp: Fazil Say hat seine Komposition „Yürüyen Kösk“ im September 2018 im Großen Saal des Mozarteums als Pianist im Alleingang aufgenommen (CD Warner Classics 0190295504656) – www.jpc.de
Bild: www.kaechartists.com / Marco Borggreve