Romantische Abschiede in E
KULTURVEREINIGUNG / hr-SINFONIEORCHESTER / OROZCO-ESTRADA
20/12/18 Chopin zählte zwanzig Jahre, als er sich mit seinem Klavierkonzert e-Moll op. 11 von seiner Heimat Polen verabschiedet hat. Was wurde an dem Werk nicht herumgenörgelt, vor allem am „unzulänglichen“ Orchesterpart! Der Pianist Rafał Blechacz gab zusammen mit dem hr-Sinfonieorchester Frankfurt damit dennoch ein bejubeltes Salzburg-Debüt.
Von Horst Reischenböck
Andrés Orozco-Estrada am Pult des hr-Sinfonieorchester ließ von ersten Takt keinen Zweifel an der tragischen Grundhaltung, färbte die risoluto-Einleitung wie eine Vorwegnahme von Johannes Brahms. Rafał Blechacz übernahm diese tragische Färbung zunächst als kämpferischer Jungspund, führte aber zärtlich ins weichere zweite Thema über und goss schließlich,Wasserfällen gleich, seine Läufe über die Tastatur des Steinway. In die Romanze - für Chopin „mein Adagio“ und tatsächlich eher ein Notturno, das zu einem dramatisch dunkel seelischen Nachtstück mutiert - mischte er schimmernde Perlen. Danach wirbelte er tänzerisch durch Chopins Finale. Ebenso tänzerisch bedankte er sich am Mittwoch (19. 12.) mit dem Walzer cis-Moll op. 64 Nr. 2 beim Kulturvereinigungs-Publikum im Großen Festspielhaus für den begeisterten Applaus.
Ebenfalls in e-Moll steht Antonin Dvořáks Symphonie Nr. 9 op. 95 Aus der Neuen Welt - Dvořáks Ausdruck seiner Sehnsucht nach der Heimat über den „großen Teich“ hinweg während seines Amerika-Gastspiels.
Unüberhörbar sind die – vom hr-Sinfonieorchester typisch „böhmisch“ musizierten - slawischen Anmutungen.
Die Symphonie war aber auch Dvořáks tönende Auseinandersetzung mit dem Land, das von ihm eigentlich eine erste „amerikanische“ Sinfonie erwartete. Orozco-Estrada, ließ keinen Zweifel über die innewohnende Tragik aufkommen, zu der er schon im ersten Allegro molto die überirdisch verhaucht geblasene Soloflöte durch zusätzliches Ritardando verstärkt kontrastieren hieß. Das Englischhorn-Solo im Largo wurde genauso perfekt gestaltet. Nach furiosem Aufbegehren trieb Andrés Orozco-Estrada das Orchester in den unüberhörbar anklingenden Trauermarsch - in den im Nachhall von etwas, das absolut kein Triumph war. Wie eben die gesamte Episode ein „Böhme in Amerika“. Einfangen wollte der Komponist mit der Sinfonie den Geist der indianischen Musik. Mindestens gleich stark vermittelt sie die Sehnsucht seines Schöpfers nach Böhmens Hain und Flur.
Als Orchesterzugabe erklang der verschwenderisch klangsinnlich ausgekostete Kopfsatz von Dvořaks Streicherserenade E-Dur op. 22 als eine Wendung ins Positive.