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HINTERGRUND / NEUE MOZARTAUSGABE / DIME
14/12/18 Wie macht man technischen Fortschritt anschaulich? Im Pressegespräch heute Freitag (14.12.), wurde DIME, die neue interaktiv zu handhabende digitale Mozart-Edition, vorgestellt. Und da sprach der wissenschaftliche Leuter der Stiftung, Kurt Leisinger, vom „Uralt-Projekt Mozart digital“. Zur Erinnerung: Die Neue Mozartausgabe wurde 2005 ins Netz gestellt.
Von Reinhard Kriechbaum
So schnell also vergeht die Zeit. Was kann DIME, was die NMA online nicht kann? So gut wie alle im Internet greifbaren Gesamt- und Denmalausgaben sind im Prinzip fotografierte Partiturseiten. Man kann sie anschauen, (unter Mühen) ausdrucken, das war's aber auch schon. Mit DIME – die Buchstaben stehen für Digital-interaktive Mozart-Edition – sieht die Sache entschieden anders aus: Hinter jedem Notenzeichen versteckt sich ein digital unmittelbar verwertbarer Quelltext. Man kann sich Partituren als Ganzes vorzeigen und auch vorspielen lassen (in Referenzaufnahmen, auch als Midi im Klaviersound), während der Umbruch der Notenzeilen sich tatsächlich dem Bildschirmformat anpasst. Es ist aber auch möglich, beliebige Stimmenkombinationen herauszugreifen, sich also zum Beispiel die Bassstimme gemeinsam mit jener der Bratsche anzuhören. Oder man blendet in einem Chorsatz die eigene Singstimme aus, und singt selbst zu den anderen Stimmen – hilfreich beim Erarbeiten eines Werks, auch wenn's ein „maschinengenerierter“ Klang ist.
Hinter jedem Takt steckt wissenschaftliche Information, im Endausbau wird man Handschrift, Erstdruck und wissenschaftliche Edition (Neue Mozartausgabe, NMA) miteinander vergleichen, Unterschieden nachspüren können. Das kann bei Vortrags- und Lautstärkezeichen von Belang sein. „Wir führen sdie älteste Methode, die Philologie, mit der Informatik zusammen“, formuliert es der Würzburger Mozart-Forscher Ulrich Konrad. DIME ermöglicht also den Vergleich mehrerer vom Komponisten autorisierter Werkfassungen und gewährt Einblicke in die ihnen zugrunde liegenden Originalquellen.
„Der Kreis von Adressaten wird sich ganz entscheidend verbreiten“, sagt Norbert Dubowy, der Editionsleiter der Digitalen NMA. Was vorderhand freilich noch weitgehend Zukunftsmusik ist, denn bis in DIME alle Mozart-Noten drin sein werden, braucht's mehr als ein Jahrzehnt. Zum Start bekommt man mal Appetitmacher: Das „Ave verum“, „Eine Kleine Nachtmusik“ und die Joseph Haydn gewidmeten Streichquartette. Kirchenmusiker können sich auf April 2019 freuen, wenn das „Exsultate jubilate“ online geht. Die Traummännlein-Klaviersonate in A-Dur KV 331 (für weniger Verschlafene: jene mit dem Rondo alla Turca) kommt im Jänner 2020. Im ersten Jahr werden etwa tausend Seiten eingepflegt, darunter auch die großen Symphonien.
Bis alle 626 Köchel-Nummern in virtuelle Codes verwandelt sind – 25.000 Druckseiten! – ist nicht nur ein langer Atem gefragt, sondern auch nicht wenig Geld. Dieses steuert das Packard Humanities Institute (Los Altos/Kalifornien) bei, ein getreuer Partner der Stiftung Mozarteum seit man an der Digitalisierung der Neuen Mozartausgabe arbeitet. Was kostet DIME also konkret? „Mit 100.000 Euro pro Jahr kommen wir sehr weit“, sagt Ulrich Leisinger dazu.
Die Technik ist bahnbrechend, und auch der soziale Aspekt. Die NMA online war ja die erste für jedermann freigegebene aktuelle Musiker-Gesamtausgabe. Auch DIME ist ohne Barrieren für die private, pädagogische und wissenschaftliche Nutzung kostenlos. Und nicht nur das: Da sich hinter jedem Graphikzeichen ein Maschinencode versteckt, den man auch abrufen kann, ist es möglich, diesen wieder in eigene Projekte einzuarbeiten: Technisch versierte Benutzer können die Quellcodes herunterladen, um sie in eigene Projekte zu integrieren oder um neue Mozart-Apps zu entwickeln. „Die Stiftung Mozarteum und das Packard Humanities Institute laden hierzu ausdrücklich ein“, heißt es dazu. Die Volldigitalisierung können Verlage bei Noteneditionen nutzen, und auch der Langzeit-Archivierung kommt diese Technik zugute.
Die NMA ist ab 1954 in 122 Bänden (25.000 Notenseiten und 8.000 Seiten Kritische Berichte) erschienen und seit 2005 als NMA-Online im Internet verfügbar. Dioe neue Digital-Interaktive Mozart-Edition „basiert auf der Neuen Mozart-Ausgabe und respektiert deren über Generationen entwickelte wissenschaftliche Leistung, doch ist sie mit ihr weder im Inhalt noch im Erscheinungsbild identisch“, erklärt man bei der Stiftung Mozarteum.
Das Wort „volldigital“ ist der Schlüssel. In maschinenlesbaren Code verwandelt und – und auch von den Wissenschaftern überprüft – ist die NMA schon. Nun geht es darum, diese Daten mit dem offenen, XML-basierten Format der Music Encoding Initiative (MEI) zu visualisieren. Ein programm namens VEROVIO (das vom Répertoire international des sources musicales, Schweiz, entwickelt wird) überträgt den maschinenlesbaren XML-Code in reguläre Musiknotation, die am Bildschirm angezeigt wird.