Bahn frei für Emotionen
KULTURVEREINIGUNG / STUTTGARTER PHILHARMONIKER
02/05/17 Nach Tschaikowskys Violinkonzert mit der überbordenden Virtuosität durch den Spitzengeiger Andrey Baranov wurde am Freitag (29.4.) im Großen Festspielhaus Elgars Sinfonik zu einem grandios wirkungsvollen Fresko, ausgemalt von den Gästen aus Baden-Württemberg und dem Dirigenten Yoel Gamzou.
Von Horst Reischenböck
Romantik pur war angesagt. Einmal mit dem von ausführenden Geigern nach wie vor als „Schlachtross“ gesehenen Konzert in D-Dur op. 35 von Pjotr Iljitsch Tschaikowski. In schlappen elf Tagen (!) hat es der Komponist zu Papier gebracht. Zeitgenossen befanden es als überaus schwer und in Wien äußerte sich Eduard Hanslick gar abqualifizierend: „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern gezaust, gerissen, gebläut.“
Nichts davon an diesem Abend im Großen Festspielhaus. Andrey Baranov, 30 Jahre jung,
überwältigte vom ersten vollmundig klangschönen Einsatz ins Allegro moderato an. Wie sehr dieses Werk an den Kräften des Interpreten zu zehren vermag, der mit Ausnahme weniger Orchestertutti praktisch ständig im Einsatz steht, konnte man da glatt vergessen. Die vom Solisten geforderte hoch-technische Leistung absolvierte Baranov sozusagen „mit links“ über die ganze Skala seines Instruments hinweg bis in perfekt höchste Flageolett-Töne. Er spielte mitunter die Assistenz auf dem Podium förmlich an die Wand, katapultierte sich inklusive aller Wiederholungen in den abschließenden Hexentanz, den er mit mit glasklaren Pizzikati garnierte.
Yoel Gamzou und die Stuttgarter Philharmoniker begleiteten in bestem Einvernehmen rhapsodisch bis an die Hitzegrenze. Als Kontrast dazu verströmte Baranov dazwischen genauso hingebungsvoll zart die Lyrismen der Canzonetta, Tschaikowskis – für Kenner bedauerlich – Ersatz der ursprünglich wesentlich ausdrucksstärkeren d-Moll-Méditation.
Mit der Zugabe aus Johann Sebastian Bachs Solo-Partita in d-Moll BWV 1004 gedachte Andrey Baranov des im Vorjahr verstorben ehemals Wiener Philharmonischen Konzertmeisters Walter Weller, der als Ehrendirigent der Stuttgarter das Konzert ursprünglich hätte leiten sollen. Lange Zeit in Großbritannien tätig gewesen, gedachte dieser wohl, sich für die auf dem Kontinent kaum je gespielte Es-Dur-Sinfonie op. 63, Sir Edward Elgars Nr. 2, einzusetzen. Das Werk ist Elgars letzte Symphonie, er hinterließ lediglich 140 Seiten Skizzen zu einer einer geplant gewesenen Dritten.
Edward Elgar (1857-1937) wurde als „englischer Brahms“ missverstanden, aber die eigentlichen Vorbilder des Spätzünders waren Franz Liszt und Richard Wagner. Damit kreierte er seiner Heimat eine erste eigentlich spätromantische Sinfonik, in die er auch ein Programm verschlüsselte. Nicht, wie damals erwartet, triumphal optimistisch und daher schon bei der Uraufführung wenig erfolgreich. Prägt doch vor allem das sensible Larghetto über weite Strecken tragisches Vorausahnen. Das fordert auch heute verständnisvolles Versenken, selbst wenn der zuletzt leise dahindämmernder Schluss dem Ganzen aufhellend freundliche Aspekte bietet.
Gastdirigent Yoel Gamzou intensivierte volle Leidenschaft in Elgars Konzept. Die vier großformatig sperrigen und nicht leicht zu erschließenden Sätze beantwortete der Stuttgarter Klangkörper hingebungsvoll in perfektem Widerhall. Ausgenommen das etwas zahme Schlagwerk, das so gar nicht Elgars Ansinnen befolgte, im Rondo an 3. Stelle das übrige Orchester nach und nach zu „ertränken“. Langanhaltender Applaus dankte engagiertem Einsatz aller Ausführenden für diese Rarität.