Gefühlvolle Tastengewitter
UNI MOZARTEUM / KLANGREISEN
12/01/17 Herbert Schuch und Gülru Ensari begeisterten am Mittwoch (12.1.) im Solitär im Rahmen der „Klangreisen“ mit einem vierhändigen Klavierabend, der den Bogen weit spannte von gemütvollen Walzern bis zu den Klang- und Tanzexzessen in „Le Sacre du printemps“.
Von Paul Kornbeck
Am Anfang standen jedoch die Schumann-Variationen op. 23 von Johannes Brahms. Das auf Robert Schumanns letztem Werk, den „Geistervariationen“, beruhende Stück ist heute noch voll eigenartiger Modernität in seinen oft jähen Kontrastwirkungen. Herbert Schuch präsentierte das Thema so in sich ruhend und gleichzeitig träumerisch, als wäre es tatsächlich von den Geistern Schuberts und Mendelssohns dem psychisch kranken Schumann überbracht worden. Im dialogischen Spiel mit Schuchs Kunst- und Lebenspartnerin Gülru Ensari ergab sich ein packendes Fresko der Gefühle und Leidenschaften. Die zwei am Klavier ergänzen sich prächtig. Schuch mit seiner perfekten Technik setzt immer wieder ungeahnte motorische Energien frei, ohne die emotionale Basis zu vernachlässigen. Gülru Ensari ist eine Pianistin des feinen Ausdrucks, aber nicht verlegen um dramatische Akzente. Dabei ist die Musik wichtiger als die totale Treffsicherheit.
Anschließend war es gar nicht so einfach, immer zu wissen, ob gerade Brahms oder Paul Hindemiths Walzer erklangen. Denn das Duo vermischte die 16 Walzer op. 36 mit Hindemiths 8 Walzern op. 6 mit dem prächtigen Titel „Drei wunderschöne Mädchen im Schwarzwald“, genau fünfzig Jahre nach den Brahms-Walzern 1916 am Titisee komponiert. Klingen die melodienseligen Schubert-Anverwandlungen des Wahlwieners doch eher gemütvoll, so lässt Hindemith auch zünftigere Tanzbodenlaune zu, wobei manchmal sogar das „Schwarzwaldmädel“ nicht so fern erscheint. Die Operette von Leon Jessel wurde übrigens 1917 uraufgeführt, lag also in der Luft. Im schwingenden Walzertakt treffen die beiden so unterschiedlichen Komponisten einander aber mitunter und auch Ensari und Schuch trafen einander in schönster Partnerschaft.
Ensaris Landsmann Özkan Manav gehört zu den hierzulande wenig bekannten türkischen Komponisten in der Nachfolge des schwer unterschätzen Achmed Adnan Saygun. Manav ist wie viele seiner Kollegen so etwas wie ein Enkel Bartóks. Mit östlich diffiziler Rhythmik setzte er zwei anatolische Melodien – eine davon ist armenischer Herkunft – mit aller archaischen Faszination der Balkan- und Kleinasienfolklore und insistierender Kraftentfaltung für Klavier zu vier Händen. Das effektvolle Stück ist Ensari & Schuch gewidmet und eine stimmige Überleitung zu den Tastengewittern, die nach der Pause erklangen.
Denn da stand Igor Strawinskys eigenhändige Transkription von „Le Sacre du printemps“ auf dem Programm, sozusagen die kristalline, skelettierte Version des Epoche machenden Balletts. Die metrisch freie, polytonale und doch kontrollierte Ekstase kommt pur zur Geltung, entkleidet aller Klangfarben, als mystischer Urtanz. Bewundernswert, wie Herbert Schuch das aus dem Steinway hämmert, mit ungeheuerlicher Präzision und dennoch leidenschaftlicher, emotionaler Unterfutterung. Gülru Ensari hält dabei nicht nur gut mit, sondern sorgt für manch sinnesfrohe Tongebung. Der Jubel des Publikums wurde mit einem vorher „unterschlagenen“ Brahms-Walzer belohnt. Das Programm ist auch als CD erhältlich.