Alles bestens geölt und gepflegt
MOZARTEUMORCHESTER / SONNTAGSMATINEE
07/11/16 Was für ein Klarinettist! Und was für ein Komponist, der ihm Musik schreibt, die wie diesen fulminanten Musiker wie eine zweite Haut passt! Mark Simpson heißt der eine, Magnus Lindberg der andere. - Eine Szene aus einem mehr als bemerkenswerten Konzert Sonntag (6.11.) im Großen Festspielhaus.
Von Reinhard Kriechbaum
Das Klarinettenkonzert von dem Finnen Magnus Lindberg ist zuerst einmal ein Stück, das mit seinem exorbitanten Energie-Level überrumpelt und doch das Publikum trotz geballter Offensive nicht an die hinterste Wand des Konzertsaals pustet: Hinter dem sich streckenweise beängstigend aufplusternden Orchestersatz warten nämlich wundersam sanfte, subtile, fast impressionistisch abgemischte Passagen, in denen die Klarinette auch nach Gebühr sanft streicht und singt. Da geht sie dann farblich höchst ergiebige Allianzen mit Kollegen ein, etwa mit den Flöten oder den drei Klarinetten-Partnern aus dem Kollektiv.
Der Solist – und nun sind wir beim exorbitant konditionsstarken, virtuosen und dabei so sagenhaft behutsamen, ja empfindsamen Engländer Mark Simpson – ist in diesem 25-Minuten-Stück in so gut wie jedem Takt bis an die Grenzen des auf diesem Instrument überhaupt Denkmöglichen gefordert. Reflexstark muss er äußerste orchestrale Kraft parieren, in Bruchteilen von Sekunden umschwenken zu feinster Lyrik und auch da genau die Balance mit den jeweiligen Kolleginnen und Kollegen punktgenau treffen. Eine Kadenz mit allen Klangtricks, wie sie die Klarinette hergibt. Da konnte man nur ehrfürchtig staunen – und am Ende jubeln.
Zur Freude hat diese in Summe wohl überlange, aber in der Werkmischung sehr reizvolle Matinee des Mozarteumorchesters unter der Leitung von HK Gruber ja eigentlich Stück um Stück Anlass gegeben. Die „Fünf Naturstücke“ von Kurt Schwertsik sind nicht nur Ton-Dichtungen, in denen man sich am Einsatz allerlei analoger Geräuschmaschinen und -werkzeuge begeistern kann. Das Besondere ist, dass der Komponist (er ist unterdessen über achtzig) die Windmaschine, ein in Wasser zu tauchendes Tamtam, angeblasene Flaschen, eine Gießkanne und dergleichen einspinnt in eine subtiles Flechtwerk, dem vor allem die Holzbläser den Glanz oder das Mysterium geben. Schwertsik verlangt ein großes Orchester, setzt dieses aber mit handwerklicher Gediegenheit Glied für Glied sinnstiftend ein.
In mancher Episode dieser „Naturstücke“ musste man an Minimal Music denken. Es ist natürlich eine solche mit Wiener Schmäh, und mit Charme sowieso. Danach gleich noch ein Stück von Kurt Schwertsik, „Mit Riesenstiefeln“: ein rhythmusbetontes Stück, in dem zuletzt die Schlagwerker zu einem packenden perkussiven Finish ausholen.
Die Zweite Sonntagsmatinee hat als Ganzes bestätigt, dass das Mozarteumorchesters mit dieser Reihe nicht nur das Publikum, sondern nicht zuletzt sich selbst beschenkt. Das funktioniert tadellos auch mit Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Die einleitenden „Norwegischen Impressionen“ von Igor Strawinsky sind ein Rarissimum: Der Russe hat es 1942 in den USA mit Filmmusik probiert, ist aber in Hollywood damit abgeblitzt. Umso feiner wirken diese Charakterstücke, die ein wenig mit dem Sound von Sacre du Printemps spielen, aber einmal auch eine pikante Grieg-Paraphrase bereit halten, im Konzertsaal.
HK Gruber hat das Konzert nicht nur dirigiert, sondern mit der ihm eigenen Lockerheit auch moderiert hat. Zuletzt widmete er sich einem eigenen Werk: Sir Simon Rattle und die Wiener Philharmoniker waren einst die Adressaten für das zweisätzige Konzertstück für Orchester „Dancing in the Dark“. Ein Foxtrott kann auch traurig, ja larmoyant klingen, das hat bei der Uraufführung 2003 schon Sir Simon verblüfft, so wie der kreative Umgang mit der Tradition, ohne dass altes Material platt zitiert würde.
Was hat die vier Werke letztlich verbunden? In jedem zeigt sich eine starke, selbstbewusste Handschrift, keines ist eklektisch, und doch bricht keiner der vier Komponisten mit der Tonalität. HK Gruber zitierte in diesem Sinne seinen Freund und Kollegen Kurt Schwertsik: Die „Maschine Tonalität“ sei „so alt wie die Menschheit“. Und sie läuft und läuft, man müsse sie bloß ölen und pflegen...