Fremd bin ich ausgezogen...
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / SZENISCHER LIEDERABEND
02/11/16 Das erste Lied aus Schuberts „Winterreise“ fiele einem natürlich als Allererstes ein zu einem Musik-Programm übers Fremdsein. Aber um Liebeskummer geht es nicht im szenischen Liederabend am Donnerstag (3.11.) im Solitär der Universität Mozarteum.
„Fremd geh' ich unter Fremden“ ist Thema des Abends, es geht um Exil, das beispielsweise der Salzburger Joseph Schaitberger als Protestant erleben musste. Sein weitverbreitetes Lied, „Ich bin ein armer Exulant“, das er sich 1686 selbst zum Trost gedichtet hatte, sollte Leidensgenossen später auf ihrem Weg ins damalige Ostpreußen begleiten.
Im Nürnberger Exil verfasste Schaitberger evangelische „Sendbriefe“, mit denen er zum geistigen Führer der evangelischen Bevölkerung des Erzstiftes wurde und wesentlich dazu beitrug, dass etwa 26.000 Salzburger sich für die Emigration entschieden, als Erzbischof Firmian sie durch sein Emigrationspatent nötigte, zwischen Glaube und Heimat zu wählen.
Aber der szenische Liederabend, ein Kooperationsprojekt zwischen PLUS und Uni Mozarteum, kreist nicht um Salzburg. Die Studierenden und Eva Spambalg-Berend, die an der Universität das Nebenfach „Schauspiel“ an der Gesangsabteilung Mozarteum unterrichtet, versuchen in Liedern und Texten aus den letzten zweihundert Jahren „verschiedene Facetten des Fremdseins in ihrer Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit aufzuspüren und ihnen nachzugehen“.
„Die Vorarbeiten für das Konzept dieses Abends fanden im Laufe des Sommersemesters 2016 in einer Zusammenarbeit von Studierenden der Universität Mozarteum mit Studierenden der Universität Salzburg am gemeinsamen Schwerpunkt 'Wissenschaft & Kunst' statt“, erzählt Eva Spambalg-Berend. „Während die Gesangs- und Schauspielstudierenden des Mozarteums heute auf der Bühne stehen, haben die Studierenden des Schwerpunkts 'Wissenschaft & Kunst' an der dramaturgischen Vorbereitung des Projekts und an der Gestaltung des Programmhefts mitgearbeitet. Dabei gab es drei unterschiedliche Arbeitsschwerpunkte und Recherchebereiche: Die Literatur – sowohl Prosatexte als auch Gedichte –, die klassische Musik – Lieder von Komponisten der vergangenen Jahrhunderte – und die Auseinandersetzung mit dem Fremdsein in unserer Stadt.
Mit der Textzeile „In der Ferne will ich leben“ beginnt Schuberts „Flucht“; von Wollen kann natürlich keine Rede sein. Ins „Heimweh“ hat sich Hugo Wolf hinein gefühlt. „Auf der Flucht“ von Hanns Eisler beruht auf einem Text von Bertolt Brecht. „Fremd geh ich unter den Fremden“ ist ein Lied von Karl Weigl (1881-1949), der gar keine so geringe Rolle im Wiener Musikleben der Zwischenkriegszeit spielte, bis er als Jude emigrieren musste. Er ist in New York gestorben.
Ein Großteil der für dieses musikalisch/literarische Pasticcio ausgewählten Autoren und Komponisten waren unmittelbar Betroffene. „Viele Fragen haben uns beschäftigt“, so Eva Spanbalg-Berend. „Wer hat das Recht, diese Situation darzustellen? Kann jemand, der nie die Erfahrung des Exils mit eigener Haut erlebt hat, über das Fremdsein sprechen? Welche Themen wurden literarisch und musikalisch bearbeitet, welche ausgeklammert? Ursachen und Anlässe zur Flucht scheinen dem dichterischen Ausdruck wenig Raum zu geben, umso häufiger haben wir Rückblicke aufs Verlorene, den Ausdruck der Furcht, der Sehnsucht, der Vorläufigkeit der Existenz und der Ungewissheit des Wartens in den Liedern und Texten gefunden.“
Eine anregende Mixtur ist jedenfalls zu erwarten, mit manch nicht so geläufigem Namen. Géza Frid (1904-1989) hat Hesses „Fremde Stadt“ vertont, Charles Ives (1874-1954) hat ein Lied „My Native Land“ geschrieben. „Die musikalische Recherche nach Vertonungen war im Fall berühmter Komponisten einfacher, in anderen Fällen oft schwierig, insbesondere bei der Suche von Noten weniger bekannter Komponisten. Hier begegneten wir wiederum Schicksalen von Geflohenen, Entwurzelten, die in diesem Fall aus unserem eigenen Land vertrieben worden waren und die fast in Vergessenheit geraten sind.“ (dpk)