Ein Mensch, ein Freund, ein Vertrauter
STIFTUNG MOZARTEUM / FRANUI, NIKOLAUS HABJAN
28/09/16 „Doch bin ich nirgend, ach! zu Haus“ – das romantische Wanderer-Thema wählte die Musicbanda Franui für eine dichte dramatisch-musikalische Studie eines Menschenlebens am Dienstag (27.9.) im Großen Saal des Mozarteums.
Von Christiane Keckeis
Ein Mensch. Ein Mann. Unbestimmten Alters zunächst. Er kommt durch den Saal herein, unaufdringlich. Einen großen Koffer trägt er. Ein Reisender. Er setzt sich an den vorbereiteten Tisch auf der Bühne. Beachtet die zehn Musiker, die hinter ihm den Halbkreis bilden, gar nicht. Zunächst. Konzentriert sich ganz auf das Publikum, das er aus leuchtenden Augen betrachtet. Und auf seinen Text: Er spricht, nein, er lebt wie ein Schauspieler die Worte des Schweizer Autors Robert Walser, Worte des Suchens und Findens, des Gehens und Innehaltens, des Bleibens und Verlassens: eine Lebensreise durch die Jahreszeiten. Und der Mensch atmet, ist voller Sehnsucht, Wehmut manchmal, einmal ängstlich, einmal traurig, dann wieder stolz, freudig, anpackend – und manchmal sehr berührt. Berührend allemal.
In anderthalb Stunden wird der Mensch zu einem – Freund? Bekannten? Identifikationsobjekt? Ja, Objekt: der Mensch ist nämlich kein Mensch, er ist eine Maske, eine Puppe, ein Gesicht, das meisterhaft von Nikolaus Habjan ins Leben geholt wird. Der Puppenspieler leiht „dem Menschen“ Stimme, gelegentlich auch Körper – und tritt in einer Weise hinter ihn, dass man auf den Puppenspieler vergisst, dass eine neue Wirklichkeit, ein Wesen entsteht mit Charakter, Erinnerungen, Ideen. Kaum zu fassen, dass die brillant gestaltete, lebensgroße Maske, vom Spieler als Handpuppe bedient, so unterschiedliche Gefühle zum Ausdruck bringen kann. Habjan übt einen höchst kunstfertigen Zauber aus, die Synchronität von Text, Ausdruck und Bewegung schafft Illusion, der er auch selbst zu erliegen scheint: er nimmt seinen „Menschen“ ernst, geht mit ihm um, mal wie ein Sohn, mal wie ein Vater, fürsorglich, tritt auch in Dialog mit ihm, lässt ihn essen, rauchen, altern – ganz nebenbei ist er noch ein wundervoller Sprecher, Rezitator, deutlich, sinnvoll, mit sanfter Stimme, nie theatralisch manieriert: das Leben geht seinen Gang mit Höhen und Tiefen.
Und bevor es allzu pathetisch wird, gefühlsduselig gar, setzt Habjan eine kleine Brechung ein, dramaturgisch geschickt – und eine andere Sicht ergibt sich, vom Fühlen ins Denken. Auch die Musik von Franui lebt von den Brechungen, von anderen Sichten, vom Spiel mit scheinbar Bekanntem, das durchaus ganz fremd werden darf. Schubert, Brahms, Mahler franuistisch ausgeleuchtet schafft Stimmung und Farbe und eine Bühne für den Menschen, der sich mitten in der Musik bewegt, kommentiert zwischen Elegie und prallem Leben. Manchmal untermalen die Musikerinnen un Musiker ganz sensibel, konzentriert die Worte des Menschen, die Worte von Robert Walser. Das ist im Timing nahezu perfekt. Manchmal singen sie auch – die Schubert'schen Liedtexte vierstimmig – da landen wir dann schnell wieder auf der Erde, leider, manchmal. Aber vielleicht ist auch das gewollt.
Im Grab endet alles, letztlich auch unser „Mensch“, es ist ein berührendes Sterben mit einem sanften, aber unbeugsamen Tod, der am Schluss den Menschen in den Koffer packt und den Saal mit Koffer ebenso unaufdringlich verlässt, wie einst der Mensch gekommen ist.
Eine Geschichte, bekannt und doch fremd, die das Publikum bannte. Franui und Habjan schenkten noch zwei Zugaben her, die die Spannung lösten und mit dem abschließenden Trauermarsch à la Franui das Publikum in fatalistischer Unbeschwertheit entließen.