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Seidenpapierblumensträußlein

BUCHBESPRECHUNG / EINZINGER / DIE VIRTUELLE FORELLE

13/01/12 „Es kommt schon einiges zusammen an einem Tag wie diesem“: Erwin Einzinger hat einen Blick für das, was im selben Augenblick passiert, aber kaum einmal gemeinsam erzählt wird. In seinem neuen Gedichtband „Die virtuelle Forelle“ berichtet der Dichter von den verwirrenden Koinzidenzen des Alltags.

Von Harald Gschwandtner

alt„Wenn Gedanken wandern könnten, so würden sie in diesem Fall vermutlich längst umgekehrt sein, besorgt darum, vor Einbruch der Dunkelheit noch die besagte Abzweigung zu erreichen, die so leicht zu übersehen ist“, hieß es im letzten Einzinger’schen Lyrikband „Ein Messer aus Odessa“. Auch im neuen Buch „Die virtuelle Forelle“ begeben sich Gedanken auf Wanderschaft.

Was Einzinger in seine lyrischen Kurzprosastücke hineinpackt, ist so unscheinbar wie spektakulär. Unscheinbar deshalb, weil die Sujets der Gedichte oft aus dem Umkreis des Alltäglichen und vordergründig Belanglosen kommen. Spektakulär jedoch, weil der erzählerische Zugang zu ebendiesen Alltäglichkeiten von einer poetischen Energie gespeist wird, die ihresgleichen sucht.

Indem Einzinger das zeitliche wie räumliche Zusammentreffen von Ereignissen poetisch fruchtbar macht, skurrile Gleichzeitigkeiten „in nicht allzu großer Entfernung“ fokussiert, entwickelt er ein Instrumentarium der Beschreibung, das der dargestellten Welt auf faszinierende Weise gerecht wird. „Es kommt schon einiges zusammen an einem Tag wie diesem“, heißt es lapidar. Es ist der Blick für das im selben Augenblick Passierende, doch kaum je gemeinsam Erzählte, der diese Lyrik ausmacht: „In solchen Augenblicken / Wetten abschließen zu wollen darauf, was denn nun wohl als / Nächstes passieren würde, kam niemandem in den Sinn.“

Nichts Weltbewegendes? Gesprächsfetzen aus belanglosem Smalltalk führen zu Reflexionen, die schwerlich als zweckorientiert bezeichnet werden können. Meist bleibt man als Leser erfolglos auf der Suche nach einer (gestern wie heute) gerne idealisierten Topographie oder nach einem Gedichtpersonal, das zur Identifikation einlädt. Vielmehr finden sich hier Beobachtungen von großer Genauigkeit und hintergründigem Witz. Wie etwa im verkappten Liebesgedicht „Ein Seidenpapierblumensträußlein für die Teilzeitpendlerin“: Auf dem Weg der Assoziationen vom „hoffnungslos kopflastigen“ Gespräch über Tabaksorten bis hin zur Arbeit einer jungen Pharmazeutin bleibt auch noch kurz Zeit für Zwischenmenschliches. Der ironische Gestus, der viele Gedichte auszeichnet, läuft freilich nie Gefahr, ins Denunziatorische abzugleiten. Immer bleiben die Texte in berichtender Distanz, schwingen sich nicht zur Bewertung auf, lassen Raum für die kleinen Träumereien wie Perversionen ihres literarischen Personals.

„Die virtuelle Forelle“ – besonderes Lob sei im Übrigen der Umschlaggestaltung gezollt – bietet lyrische Zugriffe auf die Belanglosigkeiten der Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist - im positiven Sinn aus den Fugen geraten. Ihre - einmal präzise, ein andermal freudig abschweifenden - Blicke auf Situationen alltäglicher Lebenswelt bieten einen wohltuenden Gegensatz zur Flut vordergründig „zeitgeschichtlich relevanter“ Literatur. So wird man schon einmal „Zeuge einer sehr kurzen Unter= / Haltung, in der es um Reißverschlüsse, deren / Lebensdauer & allgemeine Qualität geht“. Der letzte Absatz aus „Nahe Laakirchen“ erscheint dann beinahe schon als poetologische Standortbestimmung:

Nicht jeder Tag kann eine echte
Perle sein, aber Erstaunliches geschieht
Dennoch an nahezu jeder Ecke dieser
Welt … Spielende Kinder zum Beispiel
Fanden unlängst auf halber Strecke
Zwischen Laakirchen & Ohlsdorf
In einem Misthaufen vergrabene Zähne

Der überzeugende Blick für die Details ländlicher wie städtischer Szenerien (etwa in „Rückkehr an den Webstuhl der Jugend“), das Interesse für nicht immer glückende Kommunikationsversuche (gerne auch im familiären Umfeld), wird beständig von den tradierten Topoi literarischen Darstellungszweifels begleitet: Heines „Was hilft uns das?“  wird bei Einzinger zu „Wen aber kümmerte dies alles & wieso?“, Hölderlins „Nächstens mehr“ zu „Näheres dazu nächste Woche“.

In allen Winkeln von Eckgasthäusern und Wohnanlagen stieße man auf faszinierende Erzählungen vom Leben, lässt uns Einzingers Band wissen - eine famose Ode auf Beobachtungsgabe und vergnügte Genauigkeit. Der Dichter wirkt dabei wie der noch etwas verspieltere literarische Zwilling von Sven Regener. Tatsächlich ist man versucht zu vermuten, Erwin Einzingers Gedichte und Sven Regeners Liedtexte wären Teil eines groß angelegten Projekts zur ironischen Kartierung der Welt. „Wie viele Erdbeereise muss der Mensch noch essen?“ – diese Frage könnte auch in „Die virtuelle Forelle“ stehen.

Erwin Einzinger: Die virtuelle Forelle. Gedichte. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2011. 144 Seiten, 22 Euro.

 

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