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Ein Herz – grün und blau geschlagen

BUCHBESPRECHUNG / ALTMANN, SCHEISSLEBEN

10/01/12 Heute heißt es:  „der bekannte Reisejournalist…“, wenn von Andreas Altmann (62) die Rede ist. Doch was lag vor dem „Heute“? Ein Leben als Ungeliebter, Getretener. Erst mit 37 fand Altmann aus der unsäglich erlebten Erniedrigung heraus. Aus dem, wie er seinen literarischen Aufschrei nennt, dreifachen „Scheißleben“.

Von Hans Gärtner

Nicht nur aus dem eigenen Scheißleben, sondern auch und vor allem aus dem seines Vaters und seiner Mutter. Er selbst war es, der sich aus dem Dreck zog. Der „wiederbelebte“, was ihm „grün und blau geschlagen“ worden war: das Herz. Am Herz-Ort des christkatholischen Bayern, Altötting. Wo, gegenüber dem Gnadenaltar mit der wundertätigen Schwarzen Madonna, die Herzen der Wittelsbacher in kostbaren Gefäßen ruhen.

So manches in Andreas Altmanns glänzend formulierter, an die Nieren gehender  Wut-Tirade mag dem Leser unwirklich erscheinen. Der Jüngste einer angesehenen fünfköpfigen Kaufmannsfamilie hatte am meisten zu leiden. Daran, dass er seiner schwachen Mutter ungelegen kam – sie wollte ihren letzten „Schwanz“ als Neugeborenes mit einem Kissen ersticken, was eine Pflegerin verhindern konnte –, und daran, dass er seinem tyrannischen Vater ein Dorn im Auge war.

Andi fand erst mit 19, nach dem Abitur in Pfarrkirchen im Rottal aus der ihm Luft und Leben abwürgenden Vater-Beziehung heraus – die Mutter war von ihrem Mann kurzerhand vor die Tür gesetzt worden. Unfassbar. Umso schwerwiegender, als alles, was Altmann hier detailliert und mit Schaum vor dem Mund, oft in rasender Erregung, zu Papier brachte, vor der Kulisse des hochheiligen, von Päpsten glorifizierten, von Tausenden Notleidenden aus aller Welt als letzte Zuflucht ihrer Drangsal verehrten Gnadenortes passierte.

Nicht etwa im Irgendwo hängt, was Altmann anprangert, sondern im Konkreten. Im Nachkriegs-Altötting des späten 20. Jahrhunderts. Der Vater: der "Rosenkrankönig" Altöttings. Als Devotionalienhändler verdiente Franz-Xaver Altmann sein Geld, er galt als angesehener Bürger der Kreisstadt mit dem bedeutendsten Heiligtum des Landes. Bigottisch nach außen, falsch, despotisch in Familie und Betrieb – so erlebte ihn der Sohn, gedemütigt, herabgewürdigt von einem Vater-Scheusal. Rattengift besorgte sich der 16-Jährige gar in einer Gärtnerei, wollte es dem Vater ins Essen rühren, was er aber dann doch nicht wagte.

Erst ganz am Ende des atemberaubend zu lesenden Buches weiß man, dass der Sohn, wie durch ein Wunder, durchhielt und den Vater leben ließ. Oft und oft hat der Leser dieses Scheusal für den Erzähler erdrosselt, aufgehängt, in den Abgrund gestürzt. Zumal dieser Vater auch der Mutter ein "Scheißleben" bereitete.

Wie Andreas Altmann es – nach mehreren Eigen-Rettungsversuchen, etwa als Schauspieler am Bayerischen Staatsschauspiel (nicht am Nationaltheater, da erinnert sich der Autor falsch) unter Ingmar Bergman – doch noch schaffte, den „Altmann“-Menschen abzustreifen, sich aus einer Kindheit und Jugend zu lösen, um, freilich erst als schon nicht mehr junger Mann, grad noch mal die Kurve zu kriegen, geschädigt, lädiert, verwundet…, das lohnt die Lektüre. Auch für einen Leser, der relativiert und nicht, wie der Autor, gegen Kirche, Katholizismus, Wallfahrt – gegen Religion überhaupt – unversöhnlich loswettert, nur weil er den Dunstkreis des Heranwachsens als zu eng, zu duckmäuserisch-falsch und doppelmoralisch erleben musste.

Andreas Altmann, Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend. “ Piper Verlag, München 2011.  255 Seiten, 19,99 Euro.

 

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