Sie sind doch besser als ihr Ruf!
GASTKOMMENTAR
Ein Kriminalfall in Salzburg - ein Bursch hat eine im Zug sterbende Frau bestohlen. Und die Berichterstattung in den Medien: Warum reden alle nur vom "bösen Buben" und niemand von der jungen Frau, die sich positiv engagiert und Hilfe geholt hat? Gedanken von Christina Repolust, der Vorsitzenden im Fachbeirat Jugend/Bildung/Kultur des Landeskulturbeirates Salzburg.
Von Christina Repolust
04/03/10 Astrid Lindgren war weit über achtzig. Sie wusste um die innere Not der schwedischen Skinheads. Sie ging auf eine dieser Gangs zu, fasste sich einen der Burschen und meinte: "Du musst mit der Skindheadereien aufhören.“ Das ist über zwanzig Jahre her. Astrid Lindgren fehlt, aber mehr noch fehlen mutige Menschen, die auf Jugendliche zugehen und sie - so liebevoll wie bestimmt - ansprechen, ihnen zuhören und ihnen auch antworten. Warum gerade sie arbeitslos sind? Warum die Großen ungestraft betrügen dürfen und sie, die Kleinen, immer erwischt werden?
Bullerbü, das literarische Kinderparadies, taugte für keine Generation als Aufenthaltsort in ihrer Pubertät. Da heißt es „anderssein“ und „schnell weg hier“, zumindest im Außen. Jugendliche müssen Bullerbü verlassen.
Zwei junge Menschen stoßen auf eine sterbende Frau im Zug, beide reagieren. Eine junge Frau holt Hilfe, ein Bursch bestiehlt die Sterbende. Verwerflich, soweit der moralische Konsens. Mutig, zupackend, Gratulation - das ist wohl auch moralischer Konsens der jungen Helferin gegenüber. Von der war aber kaum mehr die Rede. Es gilt eben doch: „bad news are good news“.
Warum veranstalten Medien Straßenbefragungen über „Was halten Sie von dieser Tat?“ und fragen nicht: „Wie lange liegt Ihr letzter Erste-Hilfe-Kurs zurück?“.
Warum laden sie die junge Helferin nicht zu einem Konzert ihrer Wahl ein oder stellen die junge Frau als Vorbild auf einer ganzen Seite vor?
Eine Frau stirbt also im Zug, aber eine junge Frau versucht zu helfen, tut ihr Bestes. Das ist Trost (für die Hinterbliebenen) und Hoffnung für uns alle. Sie hätte wegschauen können, hat es aber NICHT getan. Sie hat Verantwortung übernommen, eine große dazu! Die Vorurteilsschiene wird jedoch immer wieder befahren: Komasaufen, Schule abbrechen und nun das. Verwerflich. Sehr verwerflich, aber nutzt hier Verwerfung?
Aber wie geht es weiter, nach diesem Urteil. Wie geraten junge Menschen in Schuldenfallen, die sie derartige Handlungen setzen lassen? Wo fehlt die Beratung, wo fehlen Vorbilder, wo fehlen Gespräche? Wo geht jemand auf junge Menschen zu? Welche Journalistinnen und Journalisten entfachen ihren Ehrgeiz dazu, jede Woche mindestens zehn Jugendliche vorzustellen - eine Seite lang mit Fotos -, die Mut und Zivilcourage zeigen, als Zivildiener, im Alltag, in der Schule, in der Arbeit - überall eigentlich. Junge Menschen in den Musikkapellen, im Jugendzentrum - wenn es denn zu bauen, errichten und renovieren erlaubt ist - , im Theater, wenn es mit 18 Jahren der erste Theaterbesuch ihres Lebens ist: „Das habe ich mir ganz anders vorgestellt, das ist ja auch etwas für mich.“
Der Fachbeirat „Jugend/ Bildung/Kultur“ sammelt „Licht- und Schattengeschichten – Biografische Splitter junger Menschen“. Von solchen jungen Leuten, die ihre Kurve noch gekratzt haben, sehr wohl aber Brüche erlebten. So wir alle einmal, die einen stärker pubertierend, die anderen versteckter. Ich habe Menschen gefunden, die mir als Jugendlicher zuhörten und mich ermutigten, die Kleinstadt zu verlassen. Es waren genau zwei, aber die haben für Visionen und Stärkung für mich gereicht.
Es gibt viel zu tun, Astrid Lindgren hätte sicher mitgemacht.