Fehlt da nicht schon wieder etwas?
GASTKOMMENTAR
Von Barbara Wolf-Wicha
07/05/13 Einige Wortspenden seit der letzten Wahlnacht sorgen für Irritation: Eine Zweierkoalition (der Verlierer, wohlgemerkt) sei viel leichter zu bewerkstelligen – im 36er-Landtag gäbe es bei 9+11 eine satte Mehrheit. Vor diesem machtpolitischen Kalkül sei eine Dreierkoalition ÖVP, SPÖ und Grüne (letztere als Gewinner)nicht nötig. Aber reden wird der ÖVP-Chef natürlich auch mit Grün und Team Stronach… Über die „Umvolkungspartei“ wird sichtlich Stillschweigen gebreitet. Reden wird man doch können, alles ist denkbar (wie beim Lotto).
Ein paar vorhersehbare Unwägbarkeiten bleiben: 1. Die Reaktion der Sozialpartner und vor allem der Industriellenvereinigung, die bei grüner Beteiligung ständigen Zwist wegen neuer Salzachbrücken oder der Stromleitungsnetze mutmaßen. 2. Die Reaktion der Grünen, die sich nicht zum Feigenblatt stilisieren lassen wollen, weil sie in der Regierung nur eine schwache Position haben werden. 3. Die FPÖ, die sich das alles genüsslich aus der Oppositionsrolle ansieht und beim nächsten Mal alle, die da am Regierungstisch sitzen, in den Boden stampfen wird. 4. Denn da gibt es noch das Volk! Die Wählerinnen und Wähler, die am 5. Mai die Zweier-Regierung abgestraft hatten, Erneuerung wollten und sich dann – im Sinne des grünen Wahlplakats – gepflanzt fühlen.
Damit der VP-Chef nicht darauf vergisst, dass es nicht ausschließlich um Parteien, Koalitionen und Köpfe geht, haben ihm die SN am 7. Mai hilfreich die „Herausforderungen“ aufgelistet: Buchführung, Rechnungshof, Spekulation, Sparen (bei wem?), Direkte Demokratie (was immer wer darunter versteht), Gesundheit, Wohnen, Verwaltung, Wasserkraft, 380kV. Nächste Woche Koalitionsverhandlungen, Regierung super schnell „bis Ende Mai“.
Fehlt da nicht etwas?
Von Kultur keine Rede, wie schon im Wahlkampf. Außer einem geheuchelten Grundkonsens und einem nebulosem Kulturverständnis war nichts zu hören. Halt, eines war da: Alle Ressorts sollen neugeordnet werden, auch „Kultur in eine Hand“. Bliebe in der Zweier-Koalition der Verlierer das Kulturressort in den Händen der ÖVP oder gar Chefsache? Dafür haben wir – außer in Oberösterreich – nur negative Beispiele. Der Ruf nach Visionen wäre obsolet.
Zu erwarten ist, dass das kulturelle Erbe gepflegt und die großen Kulturtanker versorgt werden. Diese brauchen dank Inflationsanpassung, Personal- und Pensionskosten immer mehr Geld. Die freien gesellschaftskritischen Initiativen, neuen Kulturgenres, Initiativen migrantischer und anderer marginalisierter Gruppen werden wohl weiterhin mit kleinen Förderbeiträgen abgespeist. Es wird an ihre Selbstausbeutung (unter dem Titel „Ehrenamt“) appelliert.
21 Cent von 100 Euro des Landesbudgets im Kulturland Salzburg tröpfeln bekanntlich in die Förderung von KünstlerInnen, unabhängigen Kulturstätten und Kunstprojekten. Mehrfach haben in der Vergangenheit die Beiräte – der nicht wahrgenommene Landes-Kulturbeirat und der unbequeme Dachverband – auf die unhaltbare Lage der „KulturarbeiterInnen“ hingewiesen. Die Politik war gegenüber diesen Forderungen und Analysen kritikresistent. Die kritischen, theoretisch und empirisch fundierten Analysen dämmern in den Schubladen der Kulturverwaltung und Politiker-Sekretariate dahin.
Eine Politikerin oder ein Politiker, die/der an der Spitze des Kulturressorts steht, muss Kulturkompetenz haben, Qualifikation für einen Gestaltungs- und nicht bloß Verwaltungsauftrag: sich Gedanken machen über die künftige Positionierung der Kulturpolitik in der Landespolitik, das ständige Gespräch mit den Kunst- und Kulturschaffenden und den Beiräten pflegen und nicht als Belästigung ansehen. Von zentraler Bedeutung muss ein Konzept sein zur Förderung der Jugend und ihrer kreativen Begabungen. Gerade die Jugend muss schulisch und außerschulisch hingeführt werden zum Kennenlernen und Wertschätzen der kulturellen Vielfalt in unserem Land, braucht die Anleitung zum Setzen von Qualitätsmaßstäben. Das geht aber nur über die Sicherung der Infrastruktur in allen Landesteilen, die Öffnung der Schulen für zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler.
Und gleich zu ihnen: In einem künftigen dringend neu strukturierten Kulturbudget muss ein klarer 50%-Schwerpunkt auf der Förderung des zeitgenössischen Kunstschaffens liegen, wozu auch das international angesehene und preisgewürdigte Filmschaffen zählt.
Und wenn schon von Verwaltungsreform vollmundig die Rede war: Auch (und gerade) in der Kulturverwaltung muss endlich Transparenz herrschen, müssen die Beiräte – nicht als Feigenblatt – eingebunden sein, muss endlich ein Rotationsprinzip eingeführt werden. Es kann nicht angehen, dass diejenigen, die die Mittel vergeben, auch (meist indirekt!) über Auswahlkriterien und Auswahlgremien mitmischen.
Aus der Erfahrung im Landes-Kulturbeirat ist zu sagen, dass an der Spitze eines solchen Ressorts eine Person stehen sollte, die selber in keinem allzu großen Naheverhältnis zu einer der Kunst- und Kultursparten steht. An erster Stelle bei der Auswahl einer solchen Person sollte weder das Parteibuch noch die persönliche Nähe stehen – denn wer sich mit den Kunst- und Kulturschaffenden auf gleicher Augenhöhe verbündet, kann kein bequemes Regierungsmitglied sein. Eine der Aufgaben muss sein, dem Landtag und der Öffentlichkeit regelmäßig Rechenschaft zu geben. Für die zu findende Person ist eine der wichtigsten Voraussetzungen die Bereitschaft zu Strukturveränderungen, zu neuen Prioritäten und zum Gespräch mit allen, um statt Kultur „für alle“ ein Konzept der Kultur „von allen“ durchzusetzen.
Im Sinne von Reinhard Kriechbaums Kommentar müssen Visionen entwickelt werden für die Gestaltung und Veränderung der Zukunft und der Demokratie. Ein/e Ressortchef/in muss Verantwortung dafür tragen, dass die Vielfalt der Kulturen in unserem Land ein Schatz und eine Chance ist – und muss in einem intensiven Beratungs- und Auswahlprozess gesucht und gefunden werden. Auch wenn es länger dauert als bis Ende Mai. Denn eine solche Kulturkompetenz heißt nicht mehr und nicht weniger als „brennen für Kunst und Kultur“.