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Null Komma fünf Prozent Regie – hundert Prozent Musik

UNIVERSITÄT MOZARTEUM / SYMPHONIEORCHESTER / HANS GRAF

15/12/15 Wenn die Spatzen in Prag oder sonst wo „Don Giovanni“-Melodien von den Dächern pfeifen, wundert sich niemand. Auch nicht 228 Jahre nach der Uraufführung. Wenn Musikstudenten Wozzeck-Motive vor sich hinträllern, 92 Jahre nach der Uraufführung, hat jemand etwas verdammt richtig gemacht.

Von Heidemarie Klabacher

Dieser jemand ist der mit Salzburg so eng verbundene Dirigent Hans Graf: Er war zuletzt seit Oktober 2013 Professor für Orchesterdirigieren am Mozarteum und Leiter des Symphonieorchesters der Universität Mozarteum – das am Freitag (11.12.) ein packendes Konzert im Orchesterhaus gegeben hat.

Es war das Abschiedskonzert des Kurzzeit-Professors und Chefdirigenten: Er kenne keinen Hut, der groß genug sei, um die Verpflichtungen eines Hochschullehrers und eines international tätigen Dirigenten zugleich darunter unterzubringen, sagte Graf. Er habe sich für das Dirigieren entschieden und daher die Professur zurückgelegt.

Auf dem Programm standen – nicht nur für ein Studentenkonzert im Advent – Raritäten: „Sechs Monologe aus Jedermann“ für Bariton und Orchester von Frank Martin. Drei Bruchstücke aus der Oper „Wozzeck“ op. 7 von Alban Berg. Und „Sancta Susanna“ Oper in einem Akt op. 21 von Paul Hindemith.

„Und niemand hat sich beklagt, dass es so schwer ist“, sagte Graf. Die Lust und Freude der jungen Leute am Musizieren, am Mitgestalten, war zu hören, zu spüren und zu sehen. Gerade für letzteres war das, für ein Konzert mit großem Orchester und Sänger gar nicht besonders geeignete, Orchesterhaus des Mozarteumorchesters im Petersbrunnhof genau richtig: Nirgendwo sonst ist man den Ausführenden so zum Greifen nahe.

Hans Graf erklärte, warum er denn mit den Seinen ein gar so schweres Programm spielen wollte: „Weil die Musik so schön ist.“ Und, so Graf, weil es Werke seien, die die jungen Leute möglicherweise nie wieder spielen würden. Er sei dann ein Freund von „Oper im Konzert“, wenn es sich um Werke handle, die man „weder zehn Jahre vorher noch zehn Jahre später“ zu hören oder als junger Musiker aufs Pult gelegt bekommt.

Im Falle von „Sancta Susanna“ war es wohl für die meisten Anwesenden die Erstbegegnung mit dem hochemotionalen spätromantisch-üppigen gerade mal 25 Minuten kurzen Operneinakter. „Wir kennen den alten gesetzten Hindemith, der für die Tonalität gekämpft hat“, sagte Hans Graf. „Sancta Susanna“, beinahe expressionistisch modern, sei dagegen das Werk eines 26jährigen Frechdaches, „der sich in den Kopf gesetzt hat, die Kirche ein wenig zu ärgern“. Das dürfte Hindemith gelungen sein. Die Ekstase der Nonne im Kreuzgang eines Frauenklosters vor dem Kruzifix habe bei der Uraufführung 1922 zum Skandal mit Blasphemie-Verdacht geführt. Noch 1977 habe es nach einer Aufführung in Rom Proteste des Vatikans gegeben, ergänzt der Programmhefttext. Anno 2015 ist „Sancta Susanna“ eine klingende Rarität von postromantischer Opulenz mit Puccini’schen Einsprengseln da und dort.

Die Solistinnen und der Damen-Kammerchor haben sich gegenüber dem von Hans Graf keineswegs zur Zurückhaltung aufgeforderten Orchester hervorragend durchgesetzt. Gewandet in simple weiße Kutte oder schwarzen Umhang: Jeweils „Null Komma fünf Prozent“ Regie und Bühnenbild hat Hans Graf es genannt. Ausreichend Szene jedenfalls für solche Musik. Die Orchesterfarben pastos und satt aufgetragen von Symphonieorchester der Universität Mozarteum, die große Emotion in der Kleinen Opernform perfekt ausgespielt (bei der besuchten Aufführung von Elisabeth de Roo als Susanna und Julia Rath als Klementia). Das von schwärzester Schauerromantik inspirierte Libretto… ein Erlebnis.

Die „Sechs Monologe aus Jedermann“ für Bariton und Orchester von Frank Martin“ hat Fernando Araujo gesungen mittels klarer Linien in hervorragender Textverständlichkeit souverän geführt über dem „holzschnittartigen“ Orchestersatz, wie Hans Graf es treffend beschrieben hat.

Meredith Hoffmann-Thomson sang die „Drei Bruchstücke aus der Oper „Wozzeck“ op. 7 von Alban Berg“ und bescherte mit „Soldaten, Soldaten“ nicht wenigen Zuhörern (oder Mitwirkenden) einen erstaunlichen Ohrwurm. Besonders bewegend gestaltete sie die zweite Szene, Marie blättert in der Bibel und entdeckt die Geschichte von ihrer Verwandten in der Sünde.

Die besondere Verbeugung gilt freilich auch hier den Orchestermitgliedern, die sich von Hans Graf so tief in die komplex tänzelnden Strukturen haben einführen lassen, dass sie ihre Erfahrungen und Erkenntnisse dem Publikum hörbar mitteilen konnten – und vor allem ihre Begeisterung.

Hans Graf wird gleich wieder als Dirigent in Salzburg in Erscheinung treten: Da Constantinos Carydis erkrankt ist, leitet er das Konzert des Mozarteumorchesters am Donnerstag (17.12.) im Großen Saal des Mozarteums. Graf war 1984 bis 1994 Chefdirigent des Mozarteumorchesters. Das Programm bleibt unverändertm mit Richard Strauss' Streichsextett aus der Oper „Capriccio“, dessen Konzert für Oboe und kleines Orchester D-Dur und der „Siebenten“ von Beethoven – www.mozarteumorchester.at
Bilder: Universität Mozarteum

 

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