Armenisch-russische Nacht
KULTURVEREINIGUNG / NORDDEUTSCHE PHILHARMONIE / KRUMPÖCK
15/01/15 Den fünften Abend im Zyklus „Die Große Symphonie“ unter das Motto „Russische Nacht“ stellen, war ein wenig gewagt: Diese Zuordnung trifft natürlich auf Piotr Iljitsch Tschaikowski zu, nicht aber auf Aram Chatchaturian, mit dessen Violinkonzert in d-Moll Christine-Maria Höller den Abend eröffnet hat.
Von Dietmar Rudolf
Aram Chatchaturian, der im georgischen Tiflis geborene Zeitgenosse Schostakowitschs, war zeitlebens der armenischen Folklore als Inspirationsquelle verpflichtet. Chatchaturian war ein populärer Meister des Effekts, auch in seinen zahllosen Filmmusiken. Vielen wird er nur als „One-Hit-Komponist“ des Säbeltanzes bekannt sein oder als Schöpfer der Titelmelodie zur Fernsehserie „Onedin-Linie“. Doch das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Chatchaturian um einen äußerst qualitätvollen Komponisten der traditionellen Moderne handelt. Allzu viel Avantgardismus kam bei seinem Landsmann Stalin ohnehin nicht gut an. Das Violinkonzert d-Moll, David Oistrach gewidmet, der auch die Kadenzen schrieb, begründete Chatchaturians internationale Karriere.
Der erste Satz des dreisätzigen Werkes beginnt mit einem packenden, von kaukasischer Rhythmik inspirierten Hauptthema in bester Bartok-Tradition, dem ein lyrisches Seitenthema gegenüber gestellt wird. Die Komposition ist gespickt mit technischen und rhythmischen Finessen, die der Solistin alles abverlangten, vor allem in der halsbrecherischen Oistrach-Kadenz. Florian Krumpöck und seine Norddeutsche Philharmonie waren hier für die Solistin Christine-Maria Höller nicht immer hilfreich. Der sonore Streicherklang und die niemals oberflächlich auftrumpfenden Bläser beeindruckten. Aber die weit ausladenden Gesten des Wiener Dirigenten waren nicht immer geeignet, dem Orchester in den vertrackten rhythmischen Strukturen Orientierung zu bieten, so dass es manchmal zu gefährlichen Interferenzen zwischen Solistin und Orchester kam.
Zur Hochform fanden beide in dem an elegischen Kantilenen reichen zweiten Satz, in dessen melancholischem Grundton sie sich wunderbar zusammenfanden. Und wenn man – vor allem im tänzerischen Finalsatz – genau hinhörte, konnte man die polyrhythmischen Finessen wahrnehmen, mit denen der Komponist den Zensoren hinter der Maske des Konventionellen eins auswischte.
Christine-Maria Höller, die fulminante Geigerin aus Bischofshofen, die sich im Laufe des Konzerts immer mehr zur Hochform steigerte, bedankte sich bei ihrem Publikum für den herzlichen Applaus, indem sie mit dem Bravour-Solostück „Something nice“ des slowenischen Komponisten Nenad Firšt eine Lanze für die zeitgenössische Musik brach.
Die „Große Symphonie“, die nach der Pause auf dem Programm stand, war Tschaikowskis „Fünfte“, vom Komponisten selbst nach langer Schaffenskrise 1888 zur nicht eben erfolgreichen Uraufführung gebracht. Zu viel Emotionalität wurde seiner „Schicksalssymphonie“ vorgeworfen. Und Emotionalität ist tatsächlich das Programm dieses Werkes, das ganz explizit von „Ergebung in das Schicksal“, von Zweifel, Glauben, Hoffnung und Verzweiflung handelt. Dies darf getrost mit Tschaikowskis Homosexualität in Zusammenhang gebracht werden, die er peinlichst geheim halten musste.
Der Kampf mit dem eigenen Schicksal zieht sich durch die ganze Symphonie - von der Introduktion mit dem melancholischen Leitthema, über den elegischen zweiten Satz mit seinen schmerzlichen Eruptionen, bis hin zum trotzigen Siegesmarsch im Finalsatz.
Auch hier zeigten sich die Stärken von Florian Krumpöck und seiner Norddeutschen Philharmonie. Sie machten die Emotionalität des Werks deutlich, ohne sie brachial zu forcieren und brachten die Kantilenen des begnadeten Melodikers Tschaikowski zum Klingen. Die gelegentlich wieder auftretenden rhythmischen Unschärfen waren dabei zu verschmerzen. Und so ließ sich der Dirigent nach dem begeisterten Beifall nicht lange bitten und ließ nach so viel Tragik den Abend mit der Zugabe aller Orchesterzugaben - dem fünften Ungarischen Tanz von Brahms - ausklingen.