Kriegsleute, erwacht!
UNIVERSITÄT MOZARTEUM / TRAKL-ORATORIUM
30/11/14 Es ist wahrlich kein angenehmes Bühnenspiel, das den zahlreichen Zuschauern hier geboten wurde. Es gibt in Klemens Verenos Trakl-Oratorium keinen Trost. Verderben und Tod stehen am Ende groß und mächtig im Zentrum.
Von Stefan Reitbauer
Mit der Uraufführungvon Klemens Verenos lyrischen Szenen nach Georg Trakl unter dem Titel „An versteinerter Schwelle“ im Großen Studio der Universität Mozarteum fand die Reihe „November mit Georg Trakl“ zum 100. Todestag des Schriftstellers ihren Abschluss.
In ruhigen Bahnen führen die Orchestermusiker die ersten Phrasen und Takte aus, der Chor eröffnet die sanfte Szenerie mit den Worten: „Gewaltig endet so das Jahr mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.“ Es ist Herbst. Der Schauplatz eine Hütte, in der Elis lebt. Die Luft ist angereichert von den Düften schwer tragender Weinreben und der morbiden Färbung der sterbenden Landschaft ringsum. Eine Schar von Solisten steht vor dem Chor, eine bunte Ansammlung von Figuren, die den Werken Trakls entsprungen sind, andere wie Maria, Tobias und Margarethe stammen direkt aus seinem persönlichen Umfeld. Die Abendglocken beschließen die angedeutete Sequenz, die ersten Takte des zweiten Bildes „Nachtlied“ lassen bereits Unheilvolles erahnen.
Die ersten Minuten zeigen bereits Skizzierungen eines Werks, das irgendwo zwischen Musiktheater, Oratorium und – wie Vereno es selbst formuliert – einer Art Traumspiel Figuren, Themen und Bilder aus dem Leben und dem Werk Trakls zeigt, ohne jemals in den gedachten, beziehungsweise angedeuteten Bildern konkret zu werden. Das Textbuch ist eine Collage von Textzeilen, lyrischen Bruchstücken und manchmal auch vollständigen Gedichten. Die musikalische Gestaltung ist stark von der Sprache und den Texten geprägt. Wurzeln dieser Komposition sieht Klemens Vereno etwa im Frühbarock, bei Monteverdi und Cavalieri, vor allem aber bei Heinrich Schütz.
Bitonale Phrasen stellten Solisten und Chor vor einige Herausforderungen. Manchmal fällt es schwer, überhaupt einen tonalen Bezugspunkt zu erhören. Die Musik entzieht sich einer greifbaren Wahrnehmung. Der Wahnsinn und die Verzweiflung Georg Trakls werden hör- und fühlbar. Der Krieg zieht ins Land. Im fünften Bild versammeln sich Soldaten. „Kriegsleute, nun erwacht!“, rufen ein Hauptmann und der Chor. In „brennender Luft“ eröffnet sich im sechsten Bild ein „Quartier voll Elend und Gestank“, ein Lazarett im Krieg. Die männlichen Figuren sterben nun der Reihe nach, im siebten Bild, „Heimkehr“ – eine freie Gestaltung des Gedichts „An Novalis“, wird die Tristesse und Verzweiflung nach Kriegsende in Worten und Klängen ersichtlich. „Heiliger Fremdling in schweigender Erde“ – mit diesen Worten beschließt der Chor das schaurige Treiben.
Etliche Menschen verließen den Saal. Damit war zu rechnen. Vor allem deshalb, weil es ohne Textkenntnis und – ob der Dunkelheit im Raum – der Unmöglichkeit des Mitlesens im Textheft nicht möglich war, dem angedeuteten Handlungsverlauf zu folgen. Eine Einführung vor Beginn des Konzerts wäre nicht nur wünschenswert gewesen, sondern absolut notwendig. Freilich ist das alles eine Frage der Art und Weise der Rezeption. Sich unvorbereitet auf das Werk einzulassen, ist zumindest schwierig. Eine szenische Aufführung hätte dieses Unterfangen eventuell erleichtert. Aufgrund von Erkrankungen und der hohen Komplexität der Komposition, erklärte der Komponist, stehe eine solche erst noch bevor.
Gemischte Gefühle dominierten so manches Gespräch nach dem Konzert am frühen Sonntagabend (30.11.). Beeindruckend war die Leistung des Orchesters und der neun Solisten. Besonders hervorgehoben sei hier Klaus Eibensteiner als Elis, der als einziger tatsächlich so etwas wie schauspielerische Elemente in seine Darstellung und stimmliche Gestaltung einfließen ließ. Mit großer Übersicht war Martin Fuchsberger am Dirigentenpult jederzeit Herr der Dinge und ein Fels in den Wogen von Verenos Musik. Der Kammerchor Salzburg sang seine Parts zum größten Teil sauber und klangschön. Dass für Details bei Aussprache, Dynamik und Agogik zu wenig Zeit in der Vorbereitung verfügbar war, merkte man nicht nur hier. Großer Respekt aber vor allen Mitwirkenden, die sich einem so herausfordernden Werk stellen. Man darf sich – vorbereitet durch diesen Abend – auf die hoffentlich nahe szenische Uraufführung freuen.