Es tönt der Abend glockentief
LANGE NACHT DER KOMPONISTEN / TRAKL
16/11/14 Die „Nacht der Komponisten“ im Solitär galt heuer Georg Trakl. Von Liedern über instrumentale Phantasien bis hin zu Übermalungen reichte die Palette, welche die IG Komponisten in Zusammenarbeit mit der Universität Mozarteum präsentierte.
Von Gottfried Franz Kasparek
Stefan David Hummel hat klug ausgewählt. Zwar stellte sich nach dem fast durchwegs schwermütigen ersten Teil eine gewisse Ermüdung ein, zwar war der Saal nach der Pause nicht mehr so gut gefüllt. Doch bis nach Mitternacht ging es noch abwechslungsreich weiter. Wolfgang Danzmayr sorgte nicht nur für die pointierte Moderation, sondern las auch seine eigene Trakl-Geschichte, eine poetische und dennoch konkrete Übermalung der tragischen Lebensgeschichte des Dichters aus seiner Erzählung „La Violetta“. Der diesmal als Komponist schweigende Danzmayr war noch dazu als natürlich grundmusikalischer Sprecher beteiligt, in Wolfgang Seierls aus dem Lautsprecher kommender Toncollage und im atmosphärischen Finale, Johannes Kotschys einfühlsam gestaltetem Melodram „Ein Dunkles wandert in Abend und Untergang“.
Begonnen hatte der lange Abend mit der Uraufführung von Nils Urban Östlunds luzider „Nachtwandlung“ für Ensemble und Agustin Castila Avilas pointillistischer Phantasie „Im Dunkel“, in der die Flötistinnen Vera Klug und Alice Guinet und die Gitarristin Christina Schorn-Mancinelli nicht nur ihre Instrumente, sondern auch ihre vorwiegend flüsternden Stimmen gebrauchen mussten. Im ersten Teil musizierte das oenm, höchst kompetent, im zweiten vorwiegend das ebenfalls formidable, zeitweilig von Hideto Nomura famos dirigierte Ensemble acrobat.
Nicht nur Paul Hindemiths enigmatische Gesangsszene „Die junge Magd“ fand in Kristina Busch eine ausdrucksreiche Alt-Interpretin. Klaus Agers atmosphärischer Klangzauber „An die Stille“ ließ wünschen, das Stück gleich noch einmal zu hören. Hummels „Trakl-Inspiration“ und Ernst Ludwig Leitners Lieder bildeten eine vom Primat der Melodie getragene Einheit, schon bekannt aus dem ersten Trakl-Abend dieser Gedenk-Serie. Wolfgang Niessners experimentelle„Sternschreie“ von 1993 wurden von Masayoshi Matsui perfekt auf Violine mit Live-Elektronik übertragen. Da schrieen wahrlich Sterne und Eis zersplitterte. Astrid Rieder durfte dazu graphisch phantasieren.
Stiller Höhepunkt des Abends waren Wilhelm Killmayers Trakl-Lieder, zwei in den 90er-Jahren geschriebene Zyklen des weithin unterschätzten Münchner Komponisten. Killmayer, ein Meister aus dem Geist eines Reger, Pfitzner und Hindemith, sitzt wie diese zwischen den Stühlen der Tradition und der Avantgarde. Siegfried Mauser am Flügel und der bis in höchste Höhen geforderte Tenor Markus Schäfer waren kundige, charismatische und spürbar begeisterte Sachwalter einer eigenwilligen Klangsprache, in der höchste Klarheit des Ausdrucks, perfekte Wortausdeutung und Reduktion auf Wesentliches herrschen. Im Trakl-Fall ergibt dies geradezu archaische Gesänge von oft in ihrer kunstvollen Schlichtheit tief berührender Melodik.
Nikolaus Schapfl geht die Sache mit der ihm eigenen Neoromantik an. Ein größerer Kontrast als der zwischen Schapfls schwelgerischem „Kaspar Hauser-Lied“ und Manuel de Roos selbst gesprochenen, aus dem Ghettobluster kommenden, dort minimalistisch lapidar unterlegten und von einem Live-Streichquartett witzig kommentierten „Rosenkranz-Liedern“ ist kaum denkbar. Doch beide Uraufführungen trafen schöne Facetten einer kreativen musikalischen Trakl-Rezeption. Was auch zwischen diesen Gegenpolen liegende Vertonungen von Franz Richter Herf (1963, erstaunlich un-ekmelisch) und Alexander Müllenbach (1998, stimmungsvoll poetisch) betraf. Der Bariton Siwoung Song ließ schönes lyrisches Material hören und ist am besten Weg zu guter deutscher Artikulation, Fausto Quintabà begleitete mitatmend.
Der erst 20jährige, sehr begabte Valentin Petzel sang sein im Vorjahr komponiertes, im Grunde romantisches Lied „Verfall“ gleich selber, mit jugendlichem Ernst, bestens begleitet von seiner Mutter Andrea Petzel. Das Crossover-Projekt von Johannes Krall, Andie Heyer und Sabina Hank musste leider aus „probentechnischen Gründen“ entfallen. Dafür machte Hartmut Schmidt mit einem von Trakl-Briefen, noch mehr aber von Bach und dem Neoklassizismus inspirierten Divertimento in drei Sätzen nachhaltig auf sich aufmerksam. Für eine originelle Besetzung – vier Klarinetten, drei Bratschen, zwei Celli, Kontrabass und Schlagzeug – ist Schmidt da köstlich espritvolle Musik der höheren Unterhaltungsklasse gelungen, welche dem naturgegeben von Melancholie geprägten Konzert zu später Stunde noch ein funkelndes Glanzlicht aufsetzte. „Es tönt der Abend glockentief“, so das Motto des Abends – es wurde durch helleres Geläut bereichert.