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Lebensaufgabe für den Therapeuten

STIFTUNG MOZARTEUM / LIEDERABEND KEENLYSIDE / AX

31/10/14 Ein Gefangener im eigenen Kopfgefängnis? Ein Psychopath in der Geschlossenen? Oder doch nur ein ganz gewöhnlicher Verzweifelter, der seine innere Unruhe durch äußere Bewegung zu beschwören sucht? Simon Keenlyside hat auf seiner Herbstwanderung von London über Wien und Graz in Salzburg Ruh’ gesucht. Vergeblich natürlich.

Von Heidemarie Klabacher

„… vor ihrem Hause stille steh’n…“ So wie Simon Keenlyside die Schlussphrase im Lied „Rückblick“ singt – sich trotzig frontal vor das Publikum stellend mit geballten Fäusten – wähnt man sich fast schon in der Oper. Hoffentlich steht der Typ nicht tatsächlich vor der Haustür. Sollte man vielleicht sicherheitshalber die Telefonnummer der Krisenintervention parat haben… Der englische Bariton hat mit seiner „Winterreise“ die klassische Liederabend-Dramaturgie – Sänger steht mit ernster Miene am Klavier – jedenfalls immer wieder aufgebrochen. Es war eine beinahe szenische, oder zumindest semi-szenische, Aufführung voller Bewegung und beredter Gesten, die das Publikum nicht selten in die Rolle des direkten Ansprechpartners gezwungen hat.

Das muss man nicht mögen. Aber so konsequent, wie Keenlyside den manisch-depressiven Typen von nebenan gibt, hat es jedenfalls Stil. Ein Psychogramm voller Widersprüche hat er auf die Bühne gebracht, eine zerrissene Persönlichkeit zwischen Verpuppung und Selbstentblößung. Eine Lebensaufgabe für den Therapeuten, dieser „Wanderer“.

Sängerisch war diese „Winterreise“ nicht weniger radikal, als „darstellerisch“. Technisch kennt Simon Keenlyside ohnehin keine Grenzen des Möglichen. Sein geschmeidig in höchste Lagen geführtes Pianissimo ist ebenso überwältigend, wie die oft geradezu tenoral-strahlende Mittellage oder die immer präzise fokussierte Artikulation in den reich timbrierten tiefen Lagen. Auf Basis dieser technischen Souveränität lassen sich dann Phrasen gestalten, die tatsächlich verklingen, „wie erstorben“. Da gibt es dann freilich auch Vokale, die so radikal offen gebildet werden, dass man anfangen würde von Vokalausgleich zu dozieren – wäre nicht jeder dieser scheinbaren Brüche tatsächlich ein unheilbarer Bruch – in der gequälten Seele nämlich.

„Auch du mein Herz, in Kampf und Sturm so wild und so verwegen, fühlst in der Still’ erst deinen Wurm mit heißem Stich sich regen“, heißt es im Lied „Rast“. Auch das ein überwältigend expressives Beispiel dafür, wie die gefährlich es ist, auf der Flucht vor sich selbst, innezuhalten. Diesem „Wurm“ will man nicht so schnell wieder begegnen! Wenn Keenlyside die Konsonanten „R“ und „M“ trennt, dann lauert im Abgrund zwischen den beiden Buchstaben ein Untier, das an der Seele frisst.

Am Klavier begleitet wurde Simon Keenlyside von Emanuel Ax, der wohl immer wieder mit brillanten Phrasen hat aufhorchen lassen – etwa im Lied „Die Krähe“ oder mit traumhaft reichem Klang im Lied „Der Wegweiser“ – in Summe aber der Keenlyside’schen Expressivität nicht annähernd so expressiv Paroli geboten hat. Vielleicht war das aber ganz gut so. Sonst wäre der seelische Druckkessel womöglich doch noch expoliert.

Bilder: www.simonkeenlyside.info/sk-info

 

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