Kindsopfer zum Muttertag
MOZARTEUMORCHESTER / MATINEE
12/05/14 Den Kindern von Medea geht es an den Kragen – durch die Mutter selbst. Und der Jungfrau, die in „Le Sacre du Printemps“ den heidnischen Göttern geopfert wird, weint gewiss eine Mutter hinterher. – Ein Muttertagsprogramm für Hartgesottene, wäre das alles nicht in so wunderbare Musik gegossen…
Von Reinhard Kriechbaum
Hans Graf, in den achtziger und neunziger Jahren Chefdirigent des Mozarteumorchesters und danach in die Neue Welt aufgebrochen, war dort logischerweise mit ganz anderen Repertoire-Perspektiven konfrontiert. Fein, dass er uns jetzt, nach Salzburg zurückgekehrt als Dirigierprofessor ans Mozarteum, an seinem erweiterten Horizont teilhaben lässt. Auf Samuel Barbers „Medea’s Meditation and Dance of Vengeance“ – Medeas Vergeltungstanz – würde man hierzulande eher nicht kommen.
Wunderbar, wie da gemalt wird mit originell kombinierten Schlagzeugfarben und natürlich an den Solo-Bläserpulten. Medea, psychisch zerstört, die sich dann hinein tanzt in Rage und Rache-Trance: Das ist durchaus experimentell gefasst von dem Komponisten, von dem man eher satten Romantik-Sound erwartet. Der kommt natürlich auch zu seinem Recht, sogar noch ganz am Ende des programmusikalischen Tableaus, wenn der furiose Tanz sehr an Strawinsky erinnert und orgiastischen Sog entwickelt. Da dürfen die Streicher nochmal kurz aufrauschen…
So hat man eigentlich den „Sacre“ gleich zwei Mal gehört an diesem Sonntagvormittag (11.5.) im Großen Festspielhaus, in der vierten und letzten Matinee des Mozarteumorchesters. Es ist nämlich ganz frappierend, wie Samuel Barber Anleihen genommen hat bei Strawinsky, wie er da und dort Themen quasi nachempfunmden und doch eine Musik mit sehr eigener Aura geformt hat. Das war eine gute Vorbereitung aufs Original.
Man sollte sich „Le Sacre du Printemps“ in dieser Wiedergabe gut einprägen: So bekommt man das Werk nur ganz selten zu hören. Die Überzeugungskraft des sonntägigen Matineenzyklus macht ja gerade aus, dass sich das Mozarteumorchester dafür quasi als Ganzes vom Ehrgeiz packen lässt, dass man wirklich „große“ Musik angeht und diese dann so klingt, als hätten alle, wirklich alle vom ersten bis zum letzten Pult, Stunden um Stunden daheim Übe-Überstunden eingelegt, um dann im Konzert als Kollektiv ein kleines Stück über sich selbst hinauswachsen zu können.
Der „Sacre“ an diesem Sonntagvormittag: ein Hörvergnügen genau deshalb, weil all die rhythmische Urkraft quasi selbstverständlich, mit Understetement rübergekommen ist, wogegen die wahren Stärken in der lustvollen klanglichen Durchformung lagen. Wenn schon kein Tanz zum Frühlingsopfer: Hans Graf und das Orchester haben tolle imaginäre Kulissen gebaut und so ausgeleuchtet, dass man nur noch die Protagonisten hineinzustellen hätte brauchen in den Hör-Raum. Was tut sich nicht alles innerhalb der vier Flöten, wie korrespondiert da die Altflöte mit dem Flageolett des Konzertmeisters Frank Stadler! Wie akkurat dialogisierten die beiden Basstuben mit dem Solo-Horn. Solch betörende Klangallianzen könnte man zu Dutzenden benennen, innerhalb der Oboenfamilie (inklusive dem an diesem Vormittag ausgiebig geforderten Englischhorn), oder bei den Klarinetten. Hans Graf hat das alles nach Kräften gefördert, schlagtechnisch präzis und verlässlich in den Einsätzen. Vor allem aber, indem er die Tempi sehr besonnen zurückgehalten hat und auf ruhige Inseln im Rhythmusmeer setzte, auf denen sich die exotische Aura so recht entfalten konnte. Von dieser Interpretation behält man gewiss manches Detail lange im Gedächtnis.
Es war eben ein Vormittag des Mozarteumorchesters. Auch dann, als Rudolf Buchbinder am Klavier saß, für Gershwins Concerto in F. Klar doch, dieses tönende Gästebuch mit Grußadressen aus Jazz und Blues fordert heraus, und Hans Graf die Orchestersau so recht rausgelassen. Das war vielleicht nicht der optimale Ausgangspunkt für den Solisten, zumal Rudolf Buchbinder zwar rhythmisch mit Mutterwitz, aber im Klang durchaus nobel an die Sache ranging. Nicht nur in den letzten Passagen dürften die Klavierbässe schon deutlich metallener durchschlagen. Buchbinder setzte auf andere Optionen, suchte Episode um Episode Dialoge mit den blasenden und streichenden Kollegen. Er überhöhte mehr den Sound, als dass er sich als gestalterischer Leader exponierte. Und das hatte dann doch auch ganz eigene Qualitäten.