Aus dem Bauch heraus
REPORTAGE / VOICE COACHING IM ROCKHOUSE
04/04/2014 „Gute Stimmen gibt es viele. Deine Stimme gibt es nur einmal!“ So könnte ein Slogan lauten, der zusammenfasst, was sich aus einem Gesangsworkshop von und mit Claudia Spitzer mit nach Hause nehmen ließ. Dem Castingshow-(Un)wesen stehen die jungen Leute durchaus kritisch gegenüber. - DrehPunktKultur war im Selbstversuch beim „Voice Coaching“ im Rockhouse.
Von Larissa Weigend
Dass es ein Zwerchfell gibt, weiß man ja. Aber wofür braucht man es? Unter anderm, zum Singen. Singen muss man „aus dem Bauch heraus“: „Der Atemfluss braucht Kraft, die wir unter anderem durch das Zwerchfell gewinnen“, sagt unser Coach. „Wenn wir diese Energie nur mithilfe des Halses hinaus quetschen, kann das schädlich für die Stimmbänder sein.“ Einsichtig. Wer hätte aber gedacht, dass man von Babys noch etwas lernen kann? Mit der richtigen „Technik“ sind sie uns in stundenlangem Schreien, ohne Heiserkeit davon zu tragen, überlegen. Tiefenatmung - das Geheimnis der sängerischen „Stütze“ - haben wir jedoch im Laufe unseres Lebens verlernt. Und genau das holen wir am Donnerstag (3.4.) beim „Voice Coaching“ im Rockhouse mittels praktischer Übungen wieder zurück.
„Rock- und Popmusik erlaubt uns, die eigene Stimme zu finden. Man muss nicht die schwierigsten Stücke beherrschen, um ‚gut’ zu sein.“ Ein Beispiel dafür sei, so Voice Coach Claudia Spitzer, der Hit „We are the world“ von Michael Jackson und Lionel Richie aus dem Jahr 1985. Wer hat die Nummer nicht aller nachgesungen und zu ihrer Bekanntheit beigetragen – etwa auch eine krächzende Cindy Lauper. Claudia Spitzer vermittelte uns in ihrem Workshop im Rockhouse, worauf es beim Singen ankommt, was das gewisse Extra ausmacht.
Doch wer ist „Wir“? Wer aller bildete denn den Sesselkreis, in dessen Mitte Claudia Spitzer zunächst einmal theoretisch und doch so anschaulich über „Gesang“ gesprochen hat? Den Großteil der Teilnehmer stellten Schülerinnen von etwa 16 Jahren, die als Teil einer Schulklasse den Workshop gemeinsam mit ihrer Musiklehrerin besuchten. Auch einige wenige männliche Teilnehmer gesellten sich tapfererweise dazu.
„In den Bauch zu atmen.“ Atem und Atemtechnik – Grundlage allen Singens – steht auch in Claudia Spitzers Konzept am Anfang. Im Alltag lassen die meisten Menschen die Luft nur bis in den Brustbereich strömen. Die Folge: „Man zieht die Schultern nach oben und steht nicht entspannt auf dem Boden.“ Dabei sei gerade ein stabiler Stand ein wichtiges Element beim Singen: „Erdung“ nennt Claudia – im Workshop wie in der Szene ist das Du-Wort üblich – diesen Prozess. Also auch ein bisschen was über die menschliche Anatomie lernen wir. Vom Zwerchfell war schon die Rede.
So tief wie möglich in den Bauch atmen und den Luftstrom langsam entweichen zu lassen, lautet eine der Anleitungen. Außerdem führte die Gruppe gemeinsam den „Vokalausgleich“ durch: Während des Einsingens alle vorhandenen Vokale abklappern – denn sie wiederum lassen den Luftstrom fließen. Dabei ist es wichtig, nicht zu „Nuschelprinzen“ oder „Nuschelprinzessinnen“ zu mutieren, wie Claudia immer wieder betonte. Auch wenn viele prominente Vorbilder á la Julian LePlay es anders vormachten, heißt es lapidar formuliert: „Der Mund muss aufgehen!“ Der Unterkiefer darf auch mal „in der Luft hängen“, wie beim Gähnen. Vokale sind nämlich im wahrsten Sinne das „A und O“ beim Singen… Ohne Scheu machen die Teilnehmerinnen und Teilenehmer bei allen Übungen mit – lassen es sich nicht nehmen, auch eigene Anregungen einzubringen.
Großes Engagement zeigten die Jugendlichen, als es um das Thema „Castingshows“ ging. Themen, wie das in den letzten Jahren stark gewandelte Konsumverhalten – Stichwort Download – oder das teilweise mangelhafte Marketing für die Kunstschaffenden, entfachten eine hitzige Diskussion, bei der die jungen Teilnehmer mit Herzblut dabei waren. Dass es bei Talenteshows nicht die Spur um nachhaltige Künstlerförderung geht, sondern um schnelle gewinnbringende Vermarktung, stößt den jungen Leuten sauer auf. "In kurzer Zeit viel mit einem Sänger zu verdienen" sei das Ziel dieser Maschinerie - und nicht der individuelle und langfristige Aufbau einer Künstlerpersönlichkeit.
Claudia Spitzer zeigte den Teilnehmern Statistiken, die große Disparitäten zwischen Youtube-Klicks und verkauften Tonträgern aufwiesen. Die Anzahl der „Klicks“ zeugt keineswegs automatisch von tatsächlicher, jahrelanger Durchsetzung eines Hits. Der Gewinner in der Kategorie „Meist gesehener Youtube-Clip“ ist der „Gangnam-Style“ aus dem Jahr 2012, den jeder kennt. Doch als musikalisch besonders wertvoll, wird er noch lange nicht erachtet. Da durchstöbert der ein oder andere Teenager sogar lieber die alte Plattensammlung von Mama und Papa. Da soll noch einer sagen, die Jugend von heute, gehe unkritisch mit medialer Omnipräsenz um!
Wie Claudia Spitzer schon im Vorfeld betont hatte, geht es um das Individuum. Perfektion ist nicht der Schlüssel zu Authentizität. Es geht darum, die individuelle Stimme zu finden und sie sich entfalten zu lassen. Inspiriert und motiviert steuerten die Teilnehmer dem Highlight des Abends entgegen. Vor etwa dreißig Zuschauern, trugen einige Freiwillige ein Lied ihrer Wahl vor – teilweise sogar a capella. Das war einen großen Applaus wert!