Ein Meister sui generis
SOMMERAKADEMIE MOZARTEUM / JURA MARGULIS
09/08/11 Wenige Konzerte gibt Jura Margulis laut eigener Aussage, dafür aber gute. In Salzburg unterrichtet er seit einigen Jahren an der Sommerakademie des Mozarteums. Hier hält er Seminare über "Virtuose Klaviertechnik" – und hier, im Rahmen der Dozentenkonzerte, praktiziert er sie auch.
Von Karl Winkler
Das Publikum im Solitär bereitete ihm für seinen Liszt-Abend am Montag (9.8.) Standing Ovations. Die Polonaise Nr. 2 E-Dur zeugt von Liszts Chopin-Verehrung; sie transportierte unter Margulis' Händen ihren Stolz und das ihr innewohnende Statement gegen jegliche Unterdrückung. Erst im Petrarca-Sonett kamen weichere Klänge zum Vorschein. Die Consolation Nr. 3 Des-Dur am Beginn des Konzerts war ja eine strenge und ernste Tröstung gewesen, mit Tönen, die im Raum stehen blieben, als ob das Klavier nicht irgendwann verklingen müsste. In Petrarcas kunstvoller Klage um die unerreichbare Laura wird dann doch jedes Aufbegehren wieder abgemildert durch ein betrübt schmachtendes Herz.
Dass einem Pianisten wie Jura Margulis der erste Mephisto-Walzer so Manches zur Entfaltung seiner Kunst bieten würde, war zu erwarten. Unnachgiebig spielte er in den umrahmenden Tanzrhythmen auf, aber aus dem scheinbar sanften Mittelteil machte er eine ungemütliche verschleierte Romanze. Ein eigenartiges Gefühl, mit einem scharfen Messer gestreichelt zu werden.
Das musikalische Schwergewicht seines Klavierabends bildete Liszts h-Moll-Sonate. Diese Zusammenfassung seiner sowohl pianistischen als auch kompositorischen Möglichkeiten hat Liszt Robert Schumann gewidmet, als späte Erwiderung auf Schumanns Zueignung der Fantasie op.17. Der berühmte Kritiker Eduard Hanslick befand, nie habe er ein "frecheres Aneinanderfügen der disparatesten Elemente" erlebt. Margulis sublimiert Liszts "Frechheit". Er überwindet die Bruchstellen, indem er das Disparate mit einer außergewöhnlichen Tempo- und Klangregie zusammenfügt. Die Brüche werden zu selbstverständlichen Übergängen, die Sonate wird tatsächlich ein großes Ganzes.
Dank seiner phänomenalen technischen Fertigkeiten wird dabei nichts im Unklaren gelassen. Auch nicht bei jenen furchteinflößenden Prestissimo-Oktaven kurz vor dem Ende der Sonate. Jura Margulis braucht hier nicht mit Hilfe von Temporückungen eine besondere Interpretation vorzutäuschen. Höchstes Tempo und zugleich größte Wucht führen zu einer Ausdrucksexplosion, da riskiert er alles und gewinnt alles. Der Faden der Virtuosität wurde aufs Äußerste gespannt, und er ist nicht gerissen. Im Nachhinein denkt man flüchtig an zur Legende gewordene Pianisten, aber Vergleiche verbieten sich. Margulis ist ein Meister sui generis.