Keine Spur von Sängerknaben-Zoo
GROSSE AULA / WIENER SÄNGERKNABEN
24/06/11 Eigentlich hätten sie ja in Japan singen sollen, die 25 adrett gekleideten Knaben mit den (b)engelsgleichen Minen. Und Japan, das muss man wissen, ist für die Buben das Sahnezuckerl unter den Sängerknaben-Tourneen.
Von Christiane Keckeis
Nun also Salzburg statt Tokio. Da wäre eine getrübte kindliche Motivation schon verständlich gewesen. Aber keine Spur: Der Brucknerchor der Wiener Sängerknaben wickelte am Donnerstag (23.6.) in der Großen Aula der Universität auf Einladung der Kulturvereinigung das Salzburger Publikum im Nu um den Finger: mit Vitalität, Qualität und Charme.
Schon der Beginn geriet angesichts der Erwartung von zarten Knabenstimmen fulminant. Ein aus der gregorianischen Einstimmigkeit in temperamentvolle „Gaudete“-Rufe wachsendes „Salve Regina“ des 17. Jahrhunderts mündete bruchlos in Orffs „O Fortuna“: mächtig und kraftvoll klang der Eingang der „Carmina Burana“ von der kleinen Bubenschar, und sie blieb auch bezüglich der präsenten Textrezitation nichts schuldig. Kein Schleppen, kein Nachgeben. 25 jugendliche Augenpaare heften sich an den italienischen Kapellmeister Manolo Cagnin – und geht schon.
Der erste Teil des Programms spannt einen weiten Bogen über herausfordernde klassische, meist geistliche Werke von Tomas Luis de Victoria über Händel, Haydn, Mozart, Cherubini, Brahms bis hin in die Moderne. Publikumsfreundliche Wunschkonzertnummern wechseln mit eher Unbekanntem, so manche musikalische Entdeckung war zu machen: so z.B. Heinz Kratochwils vier- bis sechsstimmigen Motette „Jubilate Deo“. Die jungen Sänger stehen im Halbkreis, es entsteht ein polyphones Miteinander, ein Schwingen, ein Schweben, das wieder im homophonen Satz aufgefangen wird und dynamisch vom feinsten Pianissimo bis ins kraftvolle Forte führt. Das Publikum sitzt gebannt, und das nicht, weil da Kinder singen, sondern weil so eindrücklich und intensiv ernsthaft musiziert wird.
Der Niedlichkeitseffekt kommt sicher auch gelegentlich zum Zuge, wenn ein sehr junger Cellist als Continuo den singenden Sopran-Kollegen bei einer Händel-Arie begleitet oder ein knapp einsvierzig großer Geiger mit dem Kapellmeister im Duett die Begleitung von „The Snow“ von Edgar Elgar übernimmt. Aber schon, wenn die Pianisten unter den Burschen den Kapellmeister vom Klavier vertreiben und mal eben Schuberts „Forelle“ mit leichtem Anschlag perlend untermalen oder „We are the world“ mit dichten Harmonien unterfüttern, spürt man wieder, dass es hier um ein Höchstmaß an Professionalität geht.
Dass trotzdem keine dressierten Singmaschinen auf der Bühne stehen, sondern (Laus)buben, denen beim ein oder anderen Text auch schon mal das Grinsen auskommt, die - fast nie, aber vereinzelt doch – über der Aufregung einmal ganz leicht daneben intonieren, die schüchtern sein können, wenn es darum geht, den Solistenapplaus abzuholen, und sich gegenseitig einen vom Publikum nahezu unbemerkten Rippenstoß geben – das sprüht Lebendigkeit und Normalität und entschärft den Zoocharakter: „Schaut mal: Buben, die so schön singen!“
Und sie singen nicht nur schön, sie singen auch stilistisch bewusst. Klang ist dem Kapellmeister Manolo Cagnin wichtig, keine Frage, aber es geht ihm auch darum, dem Komponisten gerecht zu werden: ein Victoria der Renaissance, der den klaren Knabenstimmen besonders liegt, unterscheidet sich deutlich von einem romantischen Schumann und ein amerikanisches Volkslied gehört anders gesungen als ein Tanzlied aus dem Mühlviertel. Da fordert er den Buben alles ab, bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, und lässt nicht nach, noch ein bisschen mehr Ton, noch ein leiseres Piano, hier Leidenschaft, da Zurückhaltung. Besonders in den so differenziert gestalteten a capella Sätzen wird das spürbar.
Standing ovations nach dem publikumsfreundlichen zweiten Teil, der mit Strauss und Co. sowie bekannten amerikanischen Standards das rund zweistündige Programm abrundete. Kein Zweifel: Die Buben haben auch hier gern gesungen.