Spannende Experimente
WIENER SAAL / APOLLON MUSAGETE QUARTETT
06/04/11 Ein wenig denkt man an das jetzt schon legendäre „Alban Berg Quartett“, wenn sich die vier Herren voller Verve in das in vielen seiner Details kühne Mozart-Quartett KV 173 in d-Moll stürzen. Temperamentvolle Akzentuierung und volle Tongebung mischen sich explosiv. Da ist keine Spur von Mozart-Lieblichkeit, sondern ernsthafte Leidenschaft.
Von Gottfried Franz Kasparek
Kammerkonzerte können bunt und dennoch rund sein. Was sich beim Konzert des „Apollon Musagete Quartetts“ am Dienstag (5.4.) im Wiener Saal zunächst wie ein Sammelsurium las, entpuppte sich beim Hören als durchdachte Programmatik: Experimente in der Gattung Streichquartett aus drei Jahrhunderten.
Das junge Quartett – die Geiger Pawel Zalejski und Bartosz Zachlod, der Bratscher Piotr Szumiel und der Cellist Piotr Skweres – kommt aus Polen. Mittelpunkt des Wirkens ist aber Wien, wo das Ensemble 2006 auch gegründet wurde. Ein wenig denkt man an das jetzt schon legendäre „Alban Berg Quartett“, wenn sich die vier Herren voller Verve in das in vielen seiner Details kühne Mozart-Quartett KV 173 in d-Moll stürzen. Temperamentvolle Akzentuierung und volle Tongebung mischen sich explosiv. Da ist keine Spur von Mozart-Lieblichkeit, sondern ernsthafte Leidenschaft, manchmal allerdings bedroht von etwas zu viel an Atemlosigkeit.
Wer kennt Streichquartette aus dem Frankreich des 18. Jahrhunderts? In der Tat, parallel zu Haydn und Boccherini haben in Paris tüchtige Musikanten ebenfalls ein bisschen die Gattung erfunden. François-Joseph Gossec, heute eher als eifrig Hymnen schreibender Mitläufer der Revolution bekannt, erst 1829 im Alter von 95 Jahren verstorben, hat schon vor 1789 große Karriere gemacht. Seine Streichquartette sind kleine zweisätzige Kostbarkeiten, die man gerne öfter hören würde. Das diesmal gebotene Beispiel in A-Dur von 1772 – aus derselben Zeit also wie Mozarts KV 173 - schürft bei weitem nicht so tief wie das Werk des Salzburger Kollegen, bereitet aber mit effektvoller Rhythmik, einer sonderbar schneidenden Eleganz und rustikalen Tanzformen reines Hörvergnügen, zumal, wenn es so frech und pointiert gespielt wird wie diesmal.
Gleichsam in ihrer Muttersprache drückten sich die Musiker beim Quartett Witold Lutoslawskis aus dem Jahr 1964 aus. Die souverän kontrollierte Aleatorik, die sich immer wieder zu energischen Höhepunkten und oszillierender Melodik verdichtende Stimmung dieses singulären Stücks lassen es einmal mehr bedauern, dass dem polnischen Meister, diesem Romantiker der seriellen Ära, so selten Platz in unseren Konzerten gewidmet wird. Das „Apollon Musagete Quartett“ schaffte es nicht nur, die Spielanweisungen des Komponisten kreativ zu erfüllen und mit der verlangten Freiheit vernünftig umzugehen, es gelang ihm auch ein großer, bezwingender Bogen bis zum in höchsten Höhen verklingenden Finale.
Mag sein, dass nach der Pause bei Franz Schuberts „Rosamunden-Quartett“ die direkt zupackende Spielweise des Ensembles manche Differenzierung verwischte, dass die (natürlich mit Ausnahme des Cellisten) stehend spielenden Interpreten feine Nuancen noch schuldig blieben - die unglaubliche Modernität des Stücks kam jedenfalls gut zur Geltung. In diesem Gipfelbereich der Kammermusik ist die Luft halt besonders dünn. Zwischendurch gelangen bewegend lyrische Episoden und gerade die Moll-Abgründe des Stücks wurden dramatisch herausgehoben. Da ist zweifellos noch Potential zur Weiterentwicklung vorhanden. Herzlicher Applaus, der mit einer skurrilen Schostakowitsch-Polka gar nicht so unpassend belohnt wurde. Auf Wiederhören!