Miniaturen aus dem Notenschrank
DIALOGE / AUFTAKTKONZERT
03/12/10 Es muss schon eine starke eigene Handschrift dahinterstecken, wenn ein Komponist seinen Notenschrank öffnet, kammermusikalische Miniaturen aus gut anderthalb Jahrzehnten zusammenbündelt – und das Ganze dann nicht ein Konglomerat aus Zufälligem, sondern ein schlüssiges Ganzes ergibt.
Von Reinhard Kriechbaum
So ist es in dem Werk „Schrank“, das natürlich nicht zufällig am Donnerstag (2.12.) zu hören war, im ersten Konzert der Enno Poppe gewidmeten „Dialoge“ der Stiftung Mozarteum. Da bekommt man auf vergleichsweise knappem Raum einen guten Eindruck vom Schaffen des 1969 geborenen Komponisten. Kann es sein, dass den Bläsern seine geheime Liebe gilt? Jedenfalls werden Bassklarinettisten, Flötisten, auch Saxophonisten von Poppe bestens bedient – nicht nur in dem Miniaturenbündel „Schrank“. Auch „Holz“, ein respektables Klarinettenkonzert (mit dem der Abend begonnen hatte) nutzt den (Holz)Bläserklang in vielen Facetten.
Auffallend: Enno Poppe erfindet das Rad nicht nochmal, wie so viele Komponisten eigentlich jeder Generation. Das Klappern mit den Klappen, das Hauchen, das Erzeugen von additiven Klängen – das kommt vor, aber es wirkt nicht als „Experiment“. Überhaupt – und das kann man aus dem „Schrank“ aufs Schönste heraushören – ist Enno Poppes Musik eine ausgeprägt dialogische Sache: beste Kammermusik im traditionellen Sinn, in der melodische und rhythmische Motive hin und hergereicht, verwandelt, herumgedreht und sozusagen von allen Seiten betrachtet werden. Gerade die mikrotonalen Verfremdungen dienen diesem genauen strukturellen Blick.
Im Künstlergespräch zu Beginn des Konzerts hat Enno Poppe sich sinngemäß so geäußert: Das Komplexe erwachse aus im Grunde einfachen Strukturen; setze man den Pegel von vornherein zu hoch, könne eben nichts eigentlich Komplexes sich entwickeln. In dieser Einsicht steckt eigentlich ein gerüttelt Maß an kompositorischer Lebensweisheit, die man manch geschwätzigem Tonsetzer gerne anempfehlen würde.
Vor der Stiftung Mozarteum sind übrigens auch schon die Festspiele auf Enno Poppe aufmerksam geworden, genau gesagt: Peter Ruzicka, der zu Poppes Verbündeten gehört (und der im Konzert heute, Freitag, 3.12.) auch dirigieren wird.
Am Donnerstag hat Enno Poppe sein eigenes, ihm lustvoll auf ergiebigen Klangwanderungen folgendes Ensemble Mosaik dirigiert. Nach der Pause folgte das OENM unter Johannes Kalitzke. Enno Poppe war ja eingebunden in die Programmkonzeption. Warum „Blue Cliffs“ von dem jetzt in Wien lebenden Weltenbürger Jorge E. López? Vielleicht, um eine deutlich andere Position heutigen Komponierens vorzuführen, die sich ähnlicher Mittel bedient, aber auf deutlich höherem Emotionspegel agiert. Oder sagen wir es geradeheraus: Es ist knallige Musik, die das Glissando im Forte gleichsam zum Leitmotiv erklärt hat. Was Jorge E. López an zusätzlichen Überlegungen hinein knüpft – Naturerfahrung, Leitsätze des Zen-Buddhismus – ist für den Zuhörer so leicht nicht mit dem Gehörten zu verknüpfen.