In der Tiefgarage der Romantik
Von Paul Kornbeck
Da steht in der immerhin zu zwei Dritteln gefüllten, hoffnungslos verbauten Aula vor der weißen Wand mit Lagerhaustüre und Steckdosen ein Bösendorfer. Daran wirkt die treffliche Begleiterin Irina Puryshinskaja. Der Tenor steht in der Mitte zwischen ihr und dem vor einem mikrophonbewehrten Notenpult sitzenden Rezitator Wolfgang Danzmayr. Alles ist kalt und weiß beleuchtet. Ein noch stimmungstötenderer Ort für ein der "Blauen Blume der Romantik" hingegebenes Konzert ist nicht vorstellbar. Dazu kommt eine grenzwertige Akustik, die den Sänger zum Forcieren verleiten könnte, wäre er nicht so grundmusikalisch und klug.
Denn es klappte dennoch. Wolfgang Danzmayr erzählte mit leiser Intensität von den Komponisten und den Dichtern und las aus dem Schubert-Roman von Peter Härtling, verhalten und berührend. Irina Puryshinskaja traf den introvertierten Ton Robert Schumanns ebenso eindringlich wie die Expressivität Hugo Wolfs und die weiten seelischen Landschaften Franz Schuberts. Und Bernhard Berchtold zeigte sich als einer der führenden Liedinterpreten.
In Schumanns Liedern nach Gedichten von Nikolaus Lenau war noch eine gewisse Gewöhnung an die Verhältnisse spürbar, aber schon hier gelangen Sequenzen voll verinnerlichter Schönheit. Die oft opernhafte Klanggewalt der Wolf-Lieder verleitete die Pianistin nicht zum Tastendonner, aber durchaus und berechtigt zu nach-wagnerischer Klangfülle. Diese Gesänge zwischen spätromantischem Überschwang und direkt zu Alban Berg führender deklamatorischer Modernität auszuloten, sogar zu schwülstig-schrägen Texten eines Robert Reinick, ist eine große Kunst, die Bernhard Berchtold mit spürbar innerem Engagement und den lyrischen Stimmcharakter dramatisch zuspitzender Gestaltungskraft souverän schaffte. Zu Höhepunkten gerieten neben Eichendorff- und Goethe-Vertonungen vor allem die Lieder nach Texten des genial „ver-rückten“ Lord Byron. Die triste „Sonne der Schlummerlosen“ verschaffte Gänsehaut – und passte sogar zur klinisch kontrastierenden Heilanstalt-Atmosphäre des Raums. Was ja bei Wolf so fern nicht liegt.
Sichere Intonation, eine der akustischen Gefahr gegenüber meist siegreiche, wortdeutliche Artikulation und hochintelligente Fokussierung des weich leuchtenden Timbres, dazu die vorbildliche und immer den großen poetischen Bogen bewahrende Ausdeutung von Wort und Ton machten die Folge der Schubert-Lieder nach Texten Johann Mayrhofers zum Höhepunkt des Abends. Nach den letzten Klängen des „Abschieds“ herrschte ein Moment der Stille, ehe herzlicher Jubel ausbrach und zu zwei Schubert-Zugaben führte. Mit „Über den Wassern zu singen“ und dem wahrhaft balsamisch vorgetragenen „Im Abendrot“ fand der Abend nach so viel sehnsuchtsvoller Düsternis ein lichtes Ende: „O wie schön ist deine Welt, Vater, wenn sie golden strahlet …“