Starke Kurzstrecken und leere Kilometer
JAZZFESTIVAL SAALFELDEN / SAMSTAG
29/08/10 Dass die Qualität eines zeitgenössischen Jazzfestivals eine gemischte sein kann, demonstriert dann der Samstag – allerdings doch auf hohem Niveau. Das 31. Jazzfestival Saalfelden besticht jedenfalls durch vitale Stilmixturen, mochte auch nicht jeder Auftritt überzeugen.
Von Christoph Irrgeher
In der Kategorie freie Improvisation treten da gleich zwei Kollektive an, die starke Kurzstrecken mit vielen leeren Kilometern erlaufen. Zum einen Raoul Björkenheim, E-Gitarre-dauerwürgendes Zentrum des DMG Trio: Die Kunst der US-finnischen Band liegt in rhythmischer Raffinesse, in der feinen Verrückung durchaus herber Melodiepartikel. Keine Frage: Unter Mithilfe von Bassist William Parker und Drummer Hamid Drake entstehen komplexe Texturen. Nur werden sie leider, wie in Fließband-Arbeit, meist in einem monotonen Klangbild gewoben. Mehr in die Extreme gehen Pianistin Satoko Fujii und Geigerin Carla Kihlstedt. Bestechend, wenn die Klangfantasie der beiden einmal so richtig außer Rand und Band gerät.
Die vielen Passagen zwischen Weltmusik-Gewaber und altbekannten Verfremdungseffekten waren jedoch eher abkömmlich. Kontrast zur ernsten Versenkung: Die Jazz Passengers am Ende des Abends. Die spielen zwar teilweise ein Mainstream-Gemisch, pfeffern es aber mit Ironie. „Re-united ... and it feels so good“, schnulzt die wieder vereinte Band über Wohlfühl-Harmonien, die der Gitarrist Marc Ribot ordentlich ins Wanken bringt.
Deutlich düsterer Terje Rypdal: Der norwegische Gitarrist hat für sein Quartett und die Bergen Big Band eine großformatige „Crime Scene“ ausgeheckt - einen Tatort für lärmige Rock-Passagen mit E-Gitarren-Intensität, doch auch ein Refugium für Himmelschöre der Bigband: Fein eingefärbt, schweben halbtonale Choräle im Raum, bis der nächste Gewaltakt hereinkracht. Ein grandioser Film noir für die Ohren, in dem Trompeter Palle Mikkelborg und Hammond-Organist Stale Storlokken charismatische Nebenrollen spielen.
Noch drängender, noch drückender war da vielleicht nur noch das Exploding Star Orchestra. Die elfköpfige Fast-schon-Bigband, die bereits in ihrer Besetzung (zweimal Bass, zweimal Schlagzeug) auf Vollgas ausgelegt ist, bringt dieses auch alsbald zur Wirkung: Nach sanften Durchschnaufern detonieren immer wieder kolossale Gebilde. Die sind zwar weder rhythmisch noch harmonisch komplex, werden aber mit Dissonanzen aufgeraut, vor allem aber durch die unbändige Ausdruckskraft der Schlagzeuger und Solisten zu stellarer Temperatur aufgehitzt.
Unfreiwillig komisch, wenig später auf das passende Gegenstück zu stoßen - wenn auch nur auf dem Gastro-Platzl vor dem Kongresshaus: Denn dort wird Schluckspechten auch ein Wodka-Gemisch namens „Jazzerl“ kredenzt.