Widmanns Ideen zum Genius loci
MOZARTEUMORCHESTER / WIDMANN / SEONG-JIN CHO
06/06/22 Ende Mai leitete Jörg Widmann das Gastspiel des Mozarteumorchesters beim Mozartfest Würzburg. In der kommenden Saison gehört er zum Gast-Dirigenten-Pool und dazwischen leitete er das letzte Donnerstagskonzert vor der Sommerpause. Solist bei Mozart und Widmann war der Weltklasse-Pianist Seong-Jin Cho.
Von Horst Reischenböck
Virtuosen auf Instrumenten reizt es immer wieder, auch zu dirigieren. Der Klarinettist und Komponist Jörg Widmann verzichtet beim Dirigieren auf den Taktstock, lässt stattdessen seine Hände plastisch wirken. Ausdruck seiner Emotion? Jedenfalls stach er, wohl von innerlich lodernder Leidenschaft getrieben, gelegentlich mit beiden Zeigefingern sogar spitz ins Ensemble hinein. Widmann liegt der „Mozart des 19. Jahrhunderts“, nämlich Felix Mendelssohn Bartholdy, besonders am Herzen. Das zeigte am Donnerstag (2.6.) in der Großen Aula zunächst seine Deutung der Hebriden-Ouvertüre op. 26. Hier ließ er nach der subtil ausformulierten Allegro moderato-Einleitung (die den ursprünglichen Titel Die einsame Insel spiegelt) das geforderte Animato in tempo geradezu stürmisch kämpfend ausspielen.
Danach galt die volle Aufmerksamkeit dem Auftritt des jungen Koreaners Seong-Jin Cho und seiner Deutung von Wolfgang Amadé Mozarts Klavierkonzert A-Dur KV 488. Man war besonders gespannt darauf, hat doch der Chopin-Preisträger von 2015 doch bereits das Schwesterwerk d-Moll erfolgreich eingespielt. In der Großen Aula drängte das doch relativ groß besetzte Orchester den Klavierpart vorerst klanglich beinah in den Hintergrund. Dafür vertiefte sich Cho umso ausdrucksstärker und nachdrücklicher in die Siciliano-Trauer des nachfolgenden tiefsinnigen fis-Moll-Adagio. Im Wettstreit des Rondo löste sich alles in heiteres Wohlgefallen auf.
Wenn Mozart heute lebte – hätte er seine Sonata facile (die ja in Wirklichkeit alles andere als „leicht“ ist) so komponiert, wie Jörg Widmann seine Aneignung? Dieser nutzt Zitate aus KV 545, macht teils Neues draus, lässt die technischen Möglichkeiten des modernen Konzertflügels voll ausreizen und spickt die Sätze mit virtuosen Anforderungen. Für Seong-Jin Cho ideales Futter, sein Können auf dem Bösendorfer mitten im Orchesterkonzert im Alleingang zu demonstrieren. Jubel für Solisten und Komponisten.
Zwölf Streichersinfonien, deren achte bereits alternativ mit Bläsern garniert, hatte Mendelssohn bereits geschaffen, ehe er sich, Fünfzehnjährig, als „Gesellenstück“ in der dreizehnten den vollen Orchesterapparat Untertan machte. Dieses Werk befand er dann als Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 11 offiziell für würdig. Wobei er in Figurationen, Imitationen bis ins Fugato des Finales hinein noch immer noch Mozart Reverenz erwies. So war die Erste Mendelssohn das gedankliche Verbindungsglied: Widmann arbeitete kraftvoll die jugendlich aufmützigen Momente der Ecksätze und des Menuetto (ist eigentlich kaum mehr ein Menuett) heraus. Vom Mozarteumorchester, das sich im Andante tonschön wie in einem Lied ohne Worte verströmte, wurden Widmanns Anliegen, hingebungsvoll umgesetzt.
Bilder: seongjin-cho.com / Holger Hage (2); www.joergwidmann.com / Marco Borggreve