Von Venedig an den Fuschlsee
STIFTUNG MOZARTEUM / FSOA-QUARTETT
28/03/22 Ein ambitioniertes Streichquartett aus Mitgliedern des in Salzburg ansässigen Female Symphonic Orchestra Austria (FSOA) im Zyklus Klassik pur am Samstag (26.3.) in der Villa Vicina der Stiftung. Die Uraufführung eines Werks von Johanna Doderer und Stücke der Haydn- und Mozart-Zeitgenossin Maddalena Lombardini Sirmen.
Von Reinhard Kriechbaum
Kann man sich hineindenken in die Musikwelt einer jungen Venezianerin um 1770? Maddalena Lombardini Sirmen (1748-1818) hatte in einem der famosen „Ospedali“ für Mädchen eine profunde Ausbildung als Geigerin genossen, und reüssierte nun europaweit als Geigerin, die so manches Violinkonzert aus eigener Feder bereit hielt.
Auch Streichquartette hat sie geschrieben (sie waren 1769 veröffentlicht worden) – und das war eine noch junge, wenn man will „offene“ Gattung. Durchaus verblüffende Kostproben gab's in diesem Konzert. Damals ist nämlich in der Luft gelegen, was man heute als „Sturm und Drang“ bezeichnet, auch in der Musik. Da war nicht „klassisches“ Ebenmaß angestrebt, sondern ein ergebnisoffenes Austesten von Möglichkeiten. Was als langsamer Satz beginnt, kann plötzlich umschlagen, jähe Stimmungswechsel und der eine oder andere rupige Übergang sind Ausdruck des Experimentierwillens. Diese Musik schlägt Haken, und das zeichnet sie viel eher aus als melodische Erfindungskraft. Maddalena Lombardini Sirmen war also als Komponistin ein gut informiertes Kind ihrer Zeit. Man sollte diesen Quartetten aber eher nicht (wie hier geschehen) Mozart gegenüberstellen, sondern frühen Haydn oder Carl Philipp Emanuel Bach. Dann würden die Maßstäbe passen. Es ist ja keineswegs unehrenhaft, nicht ganz an Mozart heranzukommen...
Ein hörenswerter Beitrag zum Thema „Frauenmusik“ jedenfalls – und solche Beiträge zu liefern, ist ja das erklärte Ziel dieser Kammermusikgruppe undihres „Mutterensembles“, des Female Symphonic Orchestra Austria (FSOA) rekrutiert. Dessen Leiterin Silvia Spinnato hat einleitend ein eindringliches Plädoyer für heute vergessene Komponistinnen gehalten. Sie hat auch berichtet, dass die Noten der aus der Versenkung geholten Werke auch anderen Ensembles zur Verfügung stehen – vielleicht keine schlechte Idee für Streichquartette, es auch mit Maddalena Lombardini Sirmen zu probieren.
Die Komponistin Johanna Doderer war an dem Abend selbst da, für die Uraufführung ihres Quartettsatzes Fuschlsee. Sie ist eindeutig eine Liebhaberin von Seen und ihren jeweils spezifischen Stimmungen. Quartettsätze mit den Titeln Mondsee und Mattsee gibt es schon, In Kärnten hat sie sich vom Millstättersee anregen lassen. Die Inspirationsquellen werden so schnell nicht versiegen, höchstens der Neusiedlersee austrocknen. Da sollte sie sich beeilen.
Eigentlich recht eigenbrötlerisch, wenn jemand heutzutage so direkt auf Stimmungsmalerei setzt. Und doppelt bemerkeswert, weil Johanna Doderer das ohne jeden Anflug von Eklektizismus unternimmt. Ihr neuer, etwa viertelstündiger Quartettsatz Fuschlsee ergeht sich nicht in Äußerlichkeiten, auch wenn es da und dort unverholen plätschert. Dieses Stück ist aber viel eher von starken Rhythmen geprägt. Es ist also wohl nicht nur das Dunkle, Verdeckte, wenn hinter den hohen Bergen die Sonne bals verschwindet. Nahe dem Schloss Fuschl (wo das Stück tags darauf in einer Matinee gespielt wurde), dürfte der Wind auch einige Bewegungs ins Wasser bringen, wenn man's so direkt ausdeuten will. Johanna Doderer beweist sich in dem Stück wieder, dass siesich wirklich toll auskennt mit den Optionen eines Streichquartetts, dass sie das Chroma der vier Streichinstrumente höchst idiomatisch einzusetzen und so auch die Musikerinnen mit ihren Angeboten krativ anzuspornen weiß: Das ist also nicht nur eine fürdie Ausführenden dankbareMusik, sondern auch eine, in der Erfindungskraft, Klangvorstellung und gediegenes Handwerk zusammen gehen. Eine echt gute, zeitlose Musik.