„Unmöglich und unlieb geworden“
HINTERGRUND / VALERY GERGIEV
01/03/22 Die Salzburger Festspiele sind aus dem Schneider, sie haben im kommenden Sommer Valery Gergiev nicht unter Vertrag. Anders das Grafenegg Festival. Dort hat man jatzt schnell klar Schiff gemacht und den Dirigenten ausgeladen. Und in München ist er seit heute Vormittag auch weg vom Fenster, so wie vielerorts zwischen Mailand und Riga.
Von Reinhard Kriechbaum
„Mit großem Bedauern müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass Valery Gergiev, ein langjähriger und künstlerisch hochgeschätzter Partner des Grafenegg Festival, derzeit nicht bereit ist, sich vom Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu distanzieren“, heißt es in einer heute Dienstag (1.3.) am Vormittag veröffentlichten Stellungnahme des künstlerischen Leiters Rudolf Buchbinder und des Geschäftsführers Philipp Stein. „Deshalb können wir an den geplanten Auftritten mit Valery Gergiev nicht festhalten. Wir hoffen aber, dass sich die beiden für heuer angekündigten Orchester-Gastspiele aus Russland trotz der schwierigen Rahmenbedingungen dennoch umsetzen lassen, da wir der Überzeugung sind, dass der kulturelle Austausch nicht Opfer des Krieges werden darf. Russische Kunst und Kultur sind seit jeher ein wichtiger Bestandteil der europäischen Identität. Wir werden die Lage laufend neu bewerten.“
Das ist diplomatisch formuliert. Man könnte Gergiev, falls er denn einen Gesinnungswandel kund tut, doch noch am 1. und 2. September ans Pult des Mariinsky Orchesters holen – so denn überhaupt ein Gastspiel eines russischen Orchesters im Sommer möglich sein wird. Vor dieser Unwägbarkeit stehen derzeit übrigens auch die Salzburger Festspiele: Sie erwarten zwar keinen Putin-Versteher am Dirigentenpult (Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hat sich diesbezüglich eindeutig ausgesprochen). Aber das Orchester MusicAeterna zum Beispiel eröffnet die Ouverture spirituelle und spielt obendrein in der Reihe der Gastorchester. Da wird wohl – schon aus dispositionellen Gründen – auch zeitnah eine Entscheidung fällig.
Valery Gergiev hat derzeit und vemutlich auch in Zukunft viele freie Abende. Der Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ist ja gerade mit einem Gastspiel der Wiener Philharmoniker in New Yorker Carnegie Hall zusammengefallen. Diese Konzerte haben ohne Gergiev stattgefunden (statt ihm dirigierte dort Yannick Nézet-Séguin). In der Mailänder Scala hätte Gergiev in den nächsten Tagen mit einer Aufführungsserie von Tschaikowskijs Pique Dame beginnen sollen. Die Scala-Leitung hatte ihm ein Ultimatum gestellt, sich von Putin und dessen Kriegshandlungen zu distanzieren. „Gergiev hat uns nicht geantwortet, wir können daher ausschließen, dass er am Samstag am Pult stehen wird“, zitiert der ORF den Mailänder Bürgermeister Giuseppe Sala.
Heute Vormittag hat man in München eindeutig entschieden gegen den Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Auch dort hat man auf eine Stellungnahme von Valery Gergiev vergeblich gewartet, und so hat ihn Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter mit sofortiger Wirkung entlassen. Unter seiner Leitung werde es keine Konzerte der Münchner Philharmoniker mehr geben, so der SPD-Politiker. Gergiev habe sich zu der Aufforderung, „sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt“, nicht geäußert, zitiert der NDR Dieter Reiter. „In der aktuellen Situation wäre aber ein klares Signal für das Orchester, sein Publikum, die Öffentlichkeit und die Stadtpolitik unabdingbar gewesen, um weiter zusammenarbeiten zu können.“
Schon vor diesem Hinausschmiss als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker hat die Münchner Agentur Felsner Artist, in deren Portfolio Gergiev das Flaggschiff war, klare Fronten geschaffen. Gergiev sei als Künstler „unmöglich und unlieb“ geworden.
Dort kann man also keinen Gergiev-Termin mehr buchen, aber das will derzeit sowieso niemand, im Gegenteil: In den letzten Tagen hat ihn die Elbphilharmonie in Hamburg ebenso ausgeladen wie das Luzerne-Festival, das er mit dem Mariinsky Orchester gleich nach Grafenegg heimgesucht hätte. Auch das Verbier Festival hat Valery Gergiev unterdessen als künstlerischen Leiter abgesetzt. Mit dem Riga Jurmala-Festival in Lettland, bei dem Gergiev und das Mariinsky Orchester im Sommer eine tragende Rolle hätte spielen sollen, wird auch nichts.
Klare Ansagen hört man auch aus den Niederlanden. Mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra verbindet Gergiev die längste Beziehung zu einem Orchester im Westen. Es hat nun nicht nur die geplanten Konzerte mit ihm gestrichen, auch das Gergiev Festival in Rotterdam, das im September hätte stattfinden sollen, ist abgesagt.