Wer mit dem Wort ficht, wird durch das Wort geschlagen
URAUFFÜHRUNG / HOFHAYMER GESELLSCHAFT
02/10/21 Die Internationale Paul Hofhaymer Gesellschaft hat eine neues Festival: Die Salzburger Festtage alter und neuer Musik – von 1. bis 3. Oktober – starteten mit der österreichischen Erstaufführung von Herbert Grassls Vertonung der intimen Wort-Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan.
Von Erhard Petzel
Philipp Lamprecht entwickelte für die Internationale Paul Hofhaymer Gesellschaft ein neues Konzept der Kumulierung von Konzerten zu einem Drei-Tage-Festival, bei dem auch Kombinationen von Veranstaltungen und das Gesamtpaket vergünstigt erstanden werden können. Dass hierbei Synergien genützt werden, zeigt gleich der Auftakt. Herbert Grassls Komposition Dunkles zu sagen kam am Freita (1.10.) in Salzburg nicht wirklich zur Uraufführung, da sie am Vortag bereits in Eppan in Südtirol zu Gehör gebracht wurde. Nicht im Sinne von Off-Bradway, sondern von Elmar Locher dort verortet, der als inhaltlicher Initiator des Stücks auch zum Werkgespräch geladen war.
Die im Netz zugängliche Aufnahme dokumentiert die UA aus der Pfarrkirche St. Michael. Das Toihaus bedeutet da eine klangliche Kehrtwende, die aber für den Hörer erhebliche Vorteile mit sich bringt. Die ziemlich trockene Akustik ermöglicht exakte Orientierung im Klangraum, ohne diesen zu zerbröseln. Die sich aufbauenden Klangflächen entwickeln durchaus ihr räumliches Volumen, ohne die Sprachdeutlichkeit der Sänger zu beeinträchtigen. Und um Sprache geht es in höchstem Maße, schrauben sich doch zwei Giganten deutscher Poesie in den Zenit des Ausdrucks, um in den menschlichen Fallstricken ihrer Worte zu scheitern. Briefstellen und Gedichte von Ingeborg Bachmann und Paul Celan werden abwechselnd und ineinander verschränkt gesungen, gelesen und kammermusikalisch unterlegt zu einer zeitgenössischen Kantate über sich verunmöglichende Liebe.
Das Faszinosum dieser Auseinandersetzung des verunglückt liebenden Paares mit dem Hintergrund des KZ-Traumas Celans und den Gruppendynamiken literarischer Zirkel in den Nachkriegsjahren wie der Gruppe 47 und ihren ideologisierten Befindlichkeiten besteht in seiner historisierenden Aktualität.
Sie ist nicht untypisch für die Gebarung intellektueller Kreise und ihrer verbalen Inszenierungen. Jeder reflektiert sie aus seinem eigenen Erfahrungshintergrund heraus und kann immer nur das erahnen, was in Resonanz zu Erlebtem steht. Die eigene Verletzung behindert die Wahrnehmung des Anderen, der Versuch der Einwortung unaussprechlicher Gefühlslagen und Blockaden verstärken die emotionelle Verhinderung. Wer mit dem Wort ficht, wird durch das Wort geschlagen. Vielleicht eine Botschaft zur aktuellen Kultur der gekränkten Empfindlichkeiten.
Wenn schon das Wort nicht eindeutig festzumachen ist, dann der Transport von Empfindungen durch Musik? Bernadette Furch und Countertenor Bernhard Landauer harmonieren stimmlich, um musikalisch das Trennende im Gemeinsamen zu offenbaren. Bettina Rossbacher rezitiert warm und klar, Vera Klug (Flöte), David Fliri (Horn), Philipp Lamprecht (Schlagwerk), Anna Lindenbaum (Violine) und Dieter Nel (Cello) bilden farbige und vielfältige Klanglandschaften unter dem Dirigat Kai Röhrigs.
Herbert Grassl kann sich auf sein eingeschworenes Team verlassen und dieses sich auf ihn. Die Wirkung ist diffizil und geschmackvoll. Aber sichert sie emotionale Deutung? Natürlich nicht. Zu Illustrationen kommt das, was Musik ausmacht: Handwerk, das von einem erfahrenen Meister selbstverständlich beherrscht wird, mit Themen, variierten Elementen, organisatorischen Strukturen und dem gezielten Einsatz des Überraschungsmoments, der nur wirksam werden kann, wenn man sich an bereits Vertrautes erinnern kann, auch wenn es in immer neuer Form erscheint. Das reine Gefühl ist uns nicht zugänglich (schon gar nicht im Sentiment allgemein verständlicher Klischees). Grassl baut mit kleinem Ensemble eine vielfarbige Kulturlandschaft der Emotionen auf mit dem Appell, im kulturell Verarbeiteten Anregungen zur eigenen Reflexion zu finden. Das Publikum des gefüllten Toihauses dankte mit reichem Applaus.
Spannend wird zu sehen sein, inwieweit sich ein inhaltlicher Bogen oder sonst eine Klammer über diese drei Tage spannt und wie sich das Konzept in der Zukunft entwickelt.
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