Scharfschütze über seinen Tod hinaus
KULTURTAGE / NIKOLAUS HABJAN / FRANUI
11/10/20 Der sperrige Kosmos Georg Kreislers zeigt sich in seinem dunklen Pessimismus ziemlich wenig erodiert vom Zeitgeist. Das bestätigte ein Abend im Haus für Mozart am Samstag (10.10.). Auf Kreislers Abwegen: Nikolaus Habjan und Franui.
Von Erhard Petzel
Die Musicbanda Franui zaubert aus Kreislers Tastenvirtuosität große Oper. Das zehnköpfige Orchester verfügt mit Blech, Holz, Streichern und Spezialisten wie Harfe, Hackbrett und Harmonika über ein facettenreiches Klangspektrum. Markus Kraler und Andreas Schett wissen in ihren Kompositionen und Arrangements den Bogen vom Rustikalen bis zur Romantik zu spannen, ohne in diesen Sujets zu verweilen. Ihre witzige Verfremdung sprüht vor eigenständiger Logik und zeitgenössischer Ästhetik. Das passt gut zum Titel „Alles nicht wahr“, verwandelt das Unfassbare in einen Ausdruck von Kultur und macht es als Ahnung begreifbar.
Nikolaus Habjan singt also Kreisler, fallweise unterstützt von den Männerstimmen der Franui – und natürlich in der Dauerauseinandersetzung mit Lady Bug. Die ausrangierte Primadonna als abgetakeltes alter Ego des Puppenspielers. Die Verfremdung durch die Handpuppe erschließt eine szenische Dimension, in der das distanzierte Understatement Kreislers einerseits theatralisch aufgebrochen wird, andrerseits gerade dadurch wieder eine Spur des Verständnisses für diesen Monolithen des Abgründigen legt. Denn zunehmend tritt Habjan in Dialog mit seinem zunächst dominanten Kunstprodukt, bis er in „Meine Freiheit, deine Freiheit“ klar macht, wer das Sagen hat und die Schlappe am Hals bammeln lässt.
Die düstere Depression schwarzen Humors wird zum schizophrenen Spiel eines gar nicht lustigen Finales mit dem realen „Begräbnis der Puppe“ (Tschaikowsky-Paraphrase von Kraler und Schett), dem Trost, wie gut es tun könne, über Nacht zu sterben und der Umkehrung des abgeklärten Gedankens an Wiedergeburt in der Erkenntnis „Du hast ja noch Dein Grab“. Nur logisch, dass der tosende Applaus mit der Draufgabe „Der Tod muss ein Wiener sein“ belohnt wurde. Auch logisch, dass Kreisler mit seinem Wiener-Bashing Zeit seines Lebens nicht ungeteilte Akzeptanz zuteil wurde. Wer bösartig Tauben vergiftet, darauf seine Partner, wer Wien ohne Wiener genießt, weil statt Antisemitismus nur mehr Antiquariate anzutreffen sind, der schießt über seinen Tod hinaus scharf.
Das Spiel mit der Hinterhältigkeit des Intellekts und der emotionellen Gebrochenheit der verwundeten Seele findet in der Puppe eine vergleichbare Hülle wie in der undurchdringlichen Physiognomie Kreislers. In „Der Staatsbeamte“ kommt es zum Metapuppenspiel, wenn Lady Bug ihrerseits eine kleinere Puppe mit Kreislers Zügen bespielt. Die Fragen des Lebens sind konterkariert durch die Absurdität ihrer Umgebung. „Wir zerlegen uns in Teile, die es gar nicht gibt“, das ist eine der vielen herrlichen Betrachtungen über Wahrheit, Einsamkeit und Alter, die auch zum Ergebnis führen können: „Der Mensch muss weg.“ Die Musiknummern sind mit witziger Conference verbunden, wobei Habjan, Puppe und Ensemble ironisch miteinander interagieren. Am innigsten verflechten sich die Bezüge, wenn Kreislers „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ mit Gustav Mahler vermanscht wird. Nahe liegender weise auch mit Zitaten aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“.
Habjan und Franui werden Kreisler auf erfrischende Weise gerecht und bringen mit ihren speziellen Mitteln diesen wieder zu verdienten Ehren. Wermutstropfen ist die fallweise getrübte Textverständlichkeit, was einerseits auf die Klangkonkurrenz mit dem Orchester zurückgeht, andrerseits aber auch auf die Verstärkung durch das eingeschminkte Minimikrophon. Das technische Wunderwerk ermöglicht die volle Aktion auf der Bühne, Klang und Text kommen aber nicht immer voll zur Geltung. Möge da künftige Technik Abhilfe schaffen. Ungeachtet dessen euphorisieren uns Erfindungsreichtum und Witz solcher Künstler in ihren außergewöhnlichen Projekten.