Lebenslust mit doppeltem Boden
FESTSPIELHAUS / MOZARTEUMORCHESTER
02/01/10 Das traditionelle Landestheater-Silvesterkonzert des Mozarteumorchesters im Großen Festspielhaus wurde zum Triumph für das Kollektiv und den Dirigenten Leo Hussain.Von Paul Kornbeck
Was, bitte, hat der Wiener Rathausplatz mit Franz Lehárs südlich-sinnlicher „Giuditta“ zu tun? Vielleicht hätten sich Melanie Müller und Thomas Oeser etwas mehr mit der Musik befassen sollen. Auch mit deren doppeltem Boden, dem mit New Yorker Skyline, Lipizzanern oder Schönbrunn nicht wirklich gedient ist. - Wenn es etwas zu bemängeln gab an diesem Abend, dann war es die angebliche Videoinstallation auf der Wand hinter dem Orchester – eigentlich eine Folge bunter Standbilder, die keine Klischees ausließen und oft nicht einmal diese trafen.
Aber man musste ja nicht hinschauen. Viel spanSnender war es, einem von Spielfreude erfülltem, auf höchstem Niveau musizierendem Orchester zuzuschauen - und dem Musikdirektor des Landestheaters, Leo Hussain, der sich mit dieser Leistung eindringlich für höhere Konzertaufgaben empfohlen hat. Auf den lautstarken, aber fein durchmodellierten Beginn – „Short Ride in A Fast Machine“ von John Adams - folgten die Symphonischen Tänze aus „West Side Story“ von Leonard Bernstein, ein manchmal bloß für leere Brillanz genütztes Bravourstück für Orchester.
Unter Hussains animierend temperamentvoller Stabführung wurde das Stück allerdings zu einer aufregenden Tanz-Tondichtung von Hass, Krieg und Liebe, mitunter geradezu gefährlich mitreißend und erdig rockig, dann wieder inbrünstig lyrisch. Den ersten Teil beschloss eine Kostbarkeit aus dem hierzulande immer noch zu wenig gepflegtem, weil nicht dem Avantgarde-Mainstream folgendem Oeuvre von Peter Maxwell Davies. „An Orkney Wedding, with Sunrise“ ist eine wahrlich zünftige schottische Hochzeit mit hymnischem Sonnenaufgang samt Dudelsack. Das Orchester darf bunte Hütchen aufsetzen und allerlei Schabernack treiben, herrlich furzt die besoffene Posaune in die Fiddle-Tänze und am Ende erscheint der famose Gunther Haußknecht mit der „Highland Bagpipe“ und Schottenrock aus dem Zuschauerraum. Eine Apotheose der Lebenslust – dank Leo Hussain ebenso exakt wie stimmungsvoll dargeboten.
Bestens gelaunt ging man also in die Pause und war neugierig auf Hussains Verhältnis zur Musik von Strauß und Co. Neugierig auch auf die junge schwedische Sopranistin Susanna Andersson, kurzfristig eingesprungen für die erkrankte Barbara Bonney. Mit silberheller lyrischer Stimme und gebührender Erotik interpretierte sie sympathisch Lehárs Vilja-Lied und „Meine Lippen, die küssen so heiß“. Der Dirigent sorgte für die nötige Feinabstimmung zwischen der üppigen Instrumentierung und der nicht allzu großen Stimme, auch bei Linda Sommerhage, die mit jugendlichem Mezzo als Orlovsky und in Offenbachs Barcarole-Duett beeindruckte.
Schon bei der „Fledermaus“-Ouvertüre wurde klar, dass der tapfer auf Deutsch moderierende, charismatische junge britische Dirigent nicht nur das in diesem Falle „muttersprachliche“ Orchester in bester wienerischer Tradition einfach spielen ließ, sondern auch eigene, der Musik gefühlvoll nachspürende Ideen einbringen konnte. Als Beispiel sei der Walzer „Nordseebilder“ von Johann Strauß Sohn genannt. Das liebevoll durchgestaltete Vorspiel, die gleichsam atmenden, natürlichen Verzögerungen in der Walzerkette, der gar nicht idyllische stürmische Teil - wahrlich eine „Symphonie im Dreivierteltakt“! Mit dem obligaten, diesmal wie neu klingenden Donauwalzer und dem Radetzkymarsch endete das bejubelte Konzert.