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Die Musik in Neapels Palästen

CD-KRITIK / KAMMERKANTATEN AUS NEAPEL

15/06/10 Wie haben denn Kammerkantaten, wie hat Kammermusik in den Adels-Palazzi geklungen - in Neapel, wo die Oper sozusagen Volks-Sache war?

Reinhard Kriechbaum

Bei den Salzburger Pfingstfestspielen steht derzeit in einem Fünf-Jahres-Projekt Neapel ganz hoch im Kurs. Es fällt offenbar gar nicht schwer, neben Riccardo Muti (der zwar Interesse an der Sache, aber wie sich heuer wieder bestätigt hat leider selbst interpretatorisch wenig zu sagen hat in Sachen Barock und Frühklassik) auch hochrangige Originalklangensembles für die Musik des neapolitanische Seicento zu interessieren. Interessant ist ja: So reichhaltig die Schätze in den Bibliotheken vor Ort sind und so viel auch geforscht wurde - die Ergebnisse sind bisher doch meist nur auf geduldigem Papier stehen geblieben und eher seltener für den Konzertsaal (oder die CD) erschlossen worden.

Auf dieser CD nun also Musik, wie sie in den Adelspalazzi geklungen hat: Kammerkantaten und klein besetzte Instrumentalkonzerte.

Da geht es logischerweise um die spezielle Färbung des Textes. Das Italienisch, wie wir es kennen, ist eine "Erfindung" des 19. Jahrhunderts. Bei den Kantaten (Rezitativen und Arien für Solostimme mit kleiner Streicherbesetzung), die der Tenor Pino de Vittorio und die Cappella della Pietà de'Turchini unter Antonio Flori hier aufgenommen hat, ist die vokale Färbung entscheidend. "Commedeja pe mmuseca"  - solche Begriffe spiegeln, dass wir es schon mit Italienisch zu tun haben, aber einem Idiom, das sehr anders klingt, gequetscht irgendwie. Vielleicht würden Sprachwissenschaftler sogar im Einzelfall darüber streiten, ob es noch ein starker Dialekt oder beinahe schon eine andere Sprache ist.

Natürlich gab es damals keine Grenzen zwischen "U"- und "E"-Musik, und wir müssen uns als Ausführende Sänger vorstellen, die mit der Musik des Volkes eben so eng vertraut waren wie mit der Oper. Pino de Vittorio, Sänger und Schauspieler (und früher Mitglied der apulischen Commedia dell'Arte-Truppe "pupi e fresedde"), hat diesen volkstümlichen Gestus perfekt drauf. Egal, ob es nun um offensichtlich humoristische Inhalte geht oder um ernsthaftere Themen - er macht immer klar, dass wir es mit einer gehobenen Form von Lokalkolorit, mit Folklore für den Adelssalon zu tun haben. Das ist die Hauptsache. Was Komponisten wie Giuseppe de Majo (1697-1771) oder Leonardo Leo (1694-1744) dazu an Instrumentalbegleitungen geschrieben haben, wirkt vergleichsweise einfältig und hält auch für aufführungspraktisch bewanderte Leute wie die Cappella della Pietà de'Turchini kaum Material bereit, an dem sich interpretatorische Imagination entzünden könnte.

Das ist anders bei der Instrumentalmusik: Da sind ein Lautenkonzert von Nicola Ugolino, ein Konzert für Traversflöte von Leonardo Leo und ein Geigenkonzert von Nicola Fiorenza mit eingespielt - und ein jedes dieser Stücke zeigt, wie gut wohl die Musiker waren in der Stadt mit damals nicht weniger als vier Konservatorien.

Gerade diese Instrumentalkonzerte spiegeln auch, dass Kulturaustausch keine Einbahnstraße war und keineswegs nur die neapolitanische Musik nach Norden ausgestrahlt hat: Ds Wissen um den empfindsamen Stil eines Quantz und manch vertraute Floskel von den "Mannheimern" ist nach Neapel gekommen und dort rezipiert worden.

Cantate Neapolitane dell '700. Pino de Vittorio (Tenor), La Cappella della Pietà de'Turchini, Ltg. Antonio Florio. Eloquentia EL 0919, www.eloquentia.fr

 

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