Braune Schafe und viele unverdächtige „Promis“
HINTERGRUND / STRASSENNAMEN
21/10/15 Platz ist nur für rund vierhundert Buchstaben, aber bei Karajan wird auf jedem Fall dabei stehen: „Er begann seine Karriere im NS-Deutschland.“ So viel Platz muss sein, und das gebietet auch der verantwortungsvolle Umgang mit Geschichte. Schließlich begegnen einem Straßennamen auf Schritt und Tritt.
Von Reinhard Kriechbaum
In einem Langzeitprojekt – man rechnet mit sicherlich zehn Jahren – werden nun auch in Salzburg Erläuterungstafeln zu Straßennamen angebracht. 1.144 Straßennamen gibt es in der Stadt, 529 davon sind nach Männern benannt, nur 25 nach Frauen (läppische drei Prozent, aber das ist ein anderes Thema), 65 nach Familien oder Personengruppen. Nach und nach sollen nun an markanten Punkten der jeweiligen Straßen und Plätze Erläuterungstafeln angebracht werden: die ersten vierzig noch im November. In der linken Altstadt.
Man geht es, wie in einem Pressegespräch heute Mittwoch (21.10.) zu erfahren war, mit Bedacht an – und schon gar nicht auf Zurufe von außen hin. Die Historikerinnen und Historiker im Haus der Stadtgeschichte (an das man die Agenden Straßenbenennung 2010 übertragen hat) studieren die Quellen. Nicht selten sei ältere Überlieferung nämlich zu ergänzen oder gar zu revidieren, heißt es. Die weißen Tafeln – Herstellungskosten je 310 Euro – werden an Gebäuden angebracht. Die Internetadresse (leider kein QR-Code) wird draufstehen, im WEB wird man Genaueres lesen können, auch auf Englisch.
Dass man sich überhaupt mit den Straßennamen beschäftigt, ist (auch) ein Kollateral-Effekt des historischen Langzeit-Projekts zur NS-Vergangenheit Salzburgs. Aber es ist nicht der zentrale Inhalt. „Was mir gefällt, ist der historisch breite Ansatz“, sagt Bürgermeister Schaden. Damit deutet er an, dass es keineswegs nur darum geht, unglückliche Straßenbenennungen nach Menschen, die sich in der NS-Zeit besonders hervorgetan haben, ins Lot zu bringen. Bei den Hagenauers beispielsweise, die dem Platz vor Mozarts Geburtshaus den Namen gegeben haben, ist weit und breit nichts Anstößiges zu finden. Einer war sogar Abt von St. Peter. Schlechter steht es um Karl Reisenbichler (1858-1962). Er hat nicht nur eine ganze Reihe von Hausfassaden mit bunten Graffiti verziert, die gerade noch als Kunst durchgehen: „Als oberster NS-Kunstfunktionär Salzburgs heute umstritten“, wird in der nach ihm benannten Straße im südlichen Aigen auf der Erklärungstafel stehen.
Sabine Veits-Falk vom Haus für Stadtgeschichte weiß interessante Dinge zu erzählen: Vom Mittelalter bis 1800 hätten sich die (gut eingebürgerten) Namen kaum verändert. Neue kamen eigentlich erst hinzu, als Napoleons Truppen einzuquartieren waren und man zur Orientierung der fremden Soldaten auch Hausnummern einführte. Als dann im 19. Jahrhundert das Bürgertum erstarkte, kamen Honoratioren zu ihren Straßen und Plätzen.
So ging es 1873 dem „Alten Fischmarkt“ an den Kragen. Das damals zusammengetretene (erste) Straßennamen-Komitee verwarf Paul Hofhaimer und entschied sich für die Familie Hagenauer. Aus dem ehemaligen „Heuwaagplatz“ wurde damals der Sigmundsplatz (nach dem Erzbischof Schrattenbach), und aus dem ward 1991 der Karajanplatz. Da der „Promi-Faktor“ bei vielen vielen Namensgebern verblasst ist, darf man sich freuen auf die Erklärungstafeln.
An der Josef-Thorak-Straße (auch in Aigen) wird derzeit nicht gerüttelt, auch wenn man Hitlers Lieblingsbildhauer nicht auf diese Weise hochleben lassen sollte. Übrigens: Die Aglassingerstraße in Gnigl ist das weitum älteste Beispiel für eine Straßenbenennung nach einem Widerstandskämpfer hierzulande: Valentin Aglassinger, Eisenbahner und sozialdemokratischer Gemeinderat in Gnigl, kam 1945 im KZ Dachau um.