Die Ralley der Pharisäer
GLOSSE
Von Werner Thuswaldner
25.02.2010 Es war seltsam, am gestrigen Mittwoch einen Wettbewerb der Pharisäer um die Schlagzeilen des Tages zu erleben. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Herr Zollitsch, hatte bis dahin mit den vielen skandalösen Missbrauchsfällen in katholischen Erziehungsanstalten die Nase vorn. Aber gestern wurde er von der Ratsvorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Frau Käßmann, überholt. Zollitsch musste sich hinten anstellen.
Für mich schien es um die Frage zu gehen: Wer von beiden, die Katholiken oder die Protestanten, beherrscht die in Jahrhunderten eingeübte Praxis der Doppelmoral besser? Margot Käßmann predigte gegen Alkohol am Steuer und fuhr betrunken durch Hannover. Doch sie brachte das Kunststück fertig, ihren groß vor den Medien inszenierten Abgang so zu gestalten, dass sie damit "Nachrufe" auslöste, die sie fast zu einer Heiligen stilisierten.
Wäre dieses Pharisäertum bloß als innerkirchliche Angelegenheit zu werten, brauchte sich niemand aufzuregen. So einfach aber liegen die Fälle bei weitem nicht. Die tapfersten unter den Katholiken sagen, dass den Missbrauchsopfern Gerechtigkeit widerfahren müsse. Doch das ist nicht mehr als ein zynischer Spruch. Wie lässt man einer in der Kindheit zerstörten Seele Gerechtigkeit widerfahren?
Wo bleiben die Konsequenzen? Auf alle Fälle sollte das Gerede vom moralischen Anspruch unterbleiben. Der hat zu keiner Zeit bestanden. Wie kann man sich gegen die Unwürdenträger der Kirchen schützen? Diskutiert jemand diese Frage?